Im Labyrinth der Fugge
liebte.
Anfangs war Anna wie gelähmt, sie wusste nicht, wie sie einfach so mit ihrem alten Leben weitermachen sollte. Virginia versuchte sie zu überreden, mal wieder vierhändig zu spielen. Doch Annas Finger waren zu träge, gehorchten nicht. Meist saß sie nur am Schreibpult in ihrer Kammer, starrte auf den Stapel Papier, blätterte in bereits skizzierten Papieren oder in den abgeschriebenen Rezepten aus den Büchern ihres Vaters und nahm nach langem Sinnieren den Silberstift in die Hand. Beim Anblick des leeren Büttens fielen ihr Canisius’ Worte wieder ein, von der Seele, die reingewaschen werden musste. Ihre Finger zitterten, gleich würden Hirngespinste, Satansbraten und Dämonen aus der Stiftspitze quellen. Sie konnte das Blatt nicht mit den dunklen Erlebnissen jener Nacht besudeln und ließ es unberührt. Am meisten fürchtete sie die Begegnung mit Schellebelle, andererseits sehnte sie sich auch nach ihr. Sie hatten das Schreckliche gemeinsam erlebt. Anna teilte zwar nicht ihren leiblichen Schmerz, die Brandwunden und Verletzungen. Sie wusste, was mit dem Teufelsmönch, ihrem Peiniger, später geschehen war. Aber eigentlich wusste sie es nicht ganz. War er irgendwo im Garten verscharrt worden? Und wo war Schellebelle und wann kehrte sie wieder ins Fugger-
haus zurück?
Die Köchin zuckte mit den Schultern und schwieg. Annas Mutter sagte, Gott sei ihrer armen Seele gnädig und schob die Perlen der Gebetskette, die ihr Canisius geschenkt hatte, weiter durch die Hand. Sie hatte dabei denselben verbissenen Gesichtsausdruck wie Virginia, wenn sie sich neue Lateinvokabeln einzuprägen versuchte. Schleichend, aber unaufhaltsam hatte Mutters Wandel von der flammenden Anhängerin Luthers zur frommen Katholikin seinen Anfang genommen. Ihren Vater brauchte sie nicht fragen, der wusste wahrscheinlich gar nicht, dass sie eine Küchenmagd gehabt hatten. Für ihn war wichtig, dass alles reibungslos lief, die Fasane gerupft und gefüllt auf den Tisch kamen, von wem und wie war ihm gleich. Wenn etwas nicht klappte, tüftelte er zwar einen Weg aus, bis es wieder lief, meist entdeckte er dabei etwas anderes, und vergaß die ursprüngliche Suche. Für ihn war eine Bedienstete wie jede andere, und fürs Gesinde war seine Frau zuständig. Wahrscheinlich würde es ihm nicht mal auffallen, wenn Severin nicht nur ihm dienen würde.
Sidonia streckte den Kopf zur Tür herein.
C-D-E-F-G-A, Virginia spielte immer wieder das Hexachord. Sidonia schloss die Tür und dämpfte Virginias Geklimper.
»Hilfst du mir, das neue Tanzkleid zu verzieren? Mutter bevorzugt seit Neuem schlichte Sachen.«
Gleichgültig nahm Anna die Schachtel mit Borten, Perlen und Litzen, die Sidonia ihr entgegenhielt. Ihr Blick fiel auf Sidonias flache Brust und die nur handbreite Taille. Seit ihrer Einführung in die Hofgesellschaft trug Sidonia auch ein Bleiplattenkorsett, das ihren Busen zu einem Brett zusammenpresste.
»Anna?« Sidonia zog sich den Stuhl vom Frisiertisch heran und setzte sich zu ihr ans Schreibpult. »Darf ich dich mal was fragen?«
Annas Herz begann schneller zu schlagen. Wie sollte sie ihrer Schwester erklären, was in dieser Nacht geschehen war? Sie war in die Küche gegangen, weil sie Halsschmerzen hatte, und dann bei Schellebelle im Bett eingeschlafen und als sie erwachte, bedrängte ein Mann Schellebelle, den Anna aber nicht sehen konnte, weil jemand das Bettzeug über sie geworfen hatte. Schellebelle wehrte sich. Aber Anna wusste nicht mal, ob die Magd den Teufelsmönch erstochen hatte oder ob es Severin gewesen war. Vermutlich gab der Diener ihm nur den Rest, als er ihn in die Getreidetruhe stopfte.
Beide waren verschwunden, der Teufelsmönch und die Magd. Vielleicht konnte ihre älteste Schwester Klarheit in ihre Gedanken bringen.
»Wie kann man es als Jungfrau anstellen, einen Mann auf sich aufmerksam zu machen, ohne dass es unschicklich wirkt?«, fragte Sidonia.
Anna war überrascht. Hatte Sidonia was mit den Augen? »Du brauchst dich doch nur umzudrehen, und eine Schar Jünglinge bittet dich zum Tanz.« Auch wenn die Schwestern gemeinsam aus dem Haus gingen, war die Älteste der Blickfang aller Männer. Sidonia zog eine Goldlitze aus der Schachtel und legte sie um den Brokatglockenrock. Anna nahm lustlos die Bänder und hielt sie Sidonia an die Leibesmitte. Früher hatte sie sich immer an neuem Tand erfreut, besonders wenn Vater etwas Ausgefallenes von seinen Reisen mitbrachte.
»Ich meine einen echten
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