Im Labyrinth der Fugge
Weißfuß nickte mit glänzenden Augen. »Große Pläne hat er mit Euch, Conte, und mit Conte Octavian selbstverständlich auch.« Der Magister überging Anna.
»Pater Canisius ließ es in einem vertraulichen Gespräch verlauten«, ergänzte Weißfuß.
Philipp verstummte.
Anna grinste, den Brüdern ging der Pater genauso auf die Nerven. »Memento et mori«, sagte sie in Philipps Richtung. »Oder damit du es verstehst: Denke daran, dass auch du stirbst.«
»Contessa?« Magister Weißfuß staunte. »Habt Ihr heimlich geübt?«
»Sie hatte Einzelstunden bei Pater Canisius«, fiepte Octavian mit geschwollener Nase und Philipp lachte.
Beim Essen mussten sie Canisius’ langatmigen Ausführungen über das Jesuitenkolleg in Rom zuhören. Ihre Brüder gaben Anna die Schuld, dass der Pater sich hier eingenistet hatte. Er spornte die Jungen an, fleißiger zu sein, wenn sie auch einmal im Collegium Germanicum studieren wollten.
»Dank der großzügigen Spende unserer Mutter«, flüsterte Sidonia zu Anna.
Ursula tupfte sich die Augen mit einem schwarzen Spitzentuch. »So eine Gnade, Pater.« Meist murmelte sie anstatt zu essen den leidensreichen, den glorreichen oder wie die Rosenkränze alle hießen, nahm anstatt Erbsen, Rosenkranzperlen zwischen die Finger.
Weiße Tücher wurden über verschnörkelte Möbelstücke gehängt, um Gott mit Einfachheit zu preisen, wie ihre Mutter Anna erklärte. Jedes Geräusch, das lauter als Geflüster war, brachte sie in Atemnot. So huschten alle, von der Zofe bis zu den Kindern in Ursulas Nähe auf Zehenspitzen herum. Vater schob es auf die Schwangerschaft. Er kannte es nicht anders in ihrer Ehe. Zwölfmal habe er sich bereits an solche Aufzüge in abwechselnder Art gewöhnt. »Da werde ich auch das Dreizehnte überleben.« Er seufzte.
Seine Frau wies die Zimmermädchen an, die Vorhänge zu schließen. Bald dämmerte das Haus im Halbdunkeln dahin.
Die Geduld verlor Georg erst, als sie das Virginal verhüllte und die Musikinstrumente von den Wänden nehmen lassen wollte. »Die bleiben, wo sie sind und wehe es fehlt eines!« Er brüllte über die schluchzende Virginia hinweg.
Ursula murmelte ihre Gebete. »›Qui pro nobis …‹«
»Hör mir zu. Hast du mich überhaupt verstanden?« Er packte sie am Arm und schüttelte sie.
Sie sackte zu Boden, versank in ihrem bauschigen schwarzen Rock, als wäre alle Luft aus ihr gewichen. »›… sanguinem sudavit …‹«
Von da an richtete sich Annas Vater sein Bett in der mittleren Kammer des Turmes. Nur beim Nachtessen nahm er am Familienleben teil. Wenn es draußen dunkel war, störten ihn die Vorhänge nicht, vermutete Anna.
28. Die Ohren
Weg aus Venedig und von Adelaida, der Krüppelfrau. Wenn er an sie dachte, zog es Philipp in den Lenden und kitzelte bis unter den Gaumen. Er sehnte sich so nach ihr, hoffte, Giuseppe würde gut für sie sorgen. Auch wenn der Alte das vorher schon getan hatte, doch man wusste ja nie. Aus dem zertrampelten braunen Matsch in ihrem Garten spross bestimmt das erste Gras und das Holzgestell hatte sich nun zu einer flaumigen Sitzbank verwachsen. Wie hier in Augsburg blühten im ›Ca’ dei desideri‹ die Bäume und er hätte so gerne überprüft, ob er sie richtig veredelt hatte. Mit der verletzten Hand konnte er Adelaida nicht schreiben und er wollte auch keinen Diener anweisen, seine Liebesschwüre festzuhalten. Bestimmt hatte sie ihn längst vergessen und einen neuen Gärtner eingestellt. Er musste in Vaters Bibliothek nach etwas Pikantem suchen und es ihr schicken, aber wer würde ihr vorlesen? Nun bereute er es, in den Poesiestunden in der Schweiz nur geschlafen zu haben. Adelaida selbst konnte ja nicht mal ein Buch halten und umblättern. Anstatt bei ihr zu sein, verbrachte er sinnlose Tage zu Hause, wo der mäusezahnige Pater Canisius das Regiment führte. Seit jener Teufelsnacht, über die Philipp nicht mehr herausfand, als dass der Eindringling beseitigt wurde und die Küchenmagd im Folterkeller schmachtete, hatte sich das Haus in ein Kloster verwandelt. Mutter, die früher Luther wie Gott selbst verehrte, hatte sich in eine fromme Katholikin verwandelt. Die Kammern waren leergeräumt worden und die Wertsachen fortgeschafft. Vater hatte seine ältesten Söhne zurückbefohlen, weil er vermutlich hoffte, mit ihrer Unterstützung wieder zu mehr Respekt zu gelangen. Aber anstatt den Pater bei der Soutane zu packen und mit einem Arschtritt hinauszubefördern, schlug er Philipp und Octavian vor,
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