Im Labyrinth der Fugge
an Annas Geburtstag gemeinsam zu musizieren. Er glaubte wohl, mit ein paar Zupfereien den drückenden Mief und die Heiligenlitaneien wegfegen zu können. Wenn Philipp das doch nur vorher geahnt hätte. Dann hätte er sich nicht in einem Gefolge aus Bütteln und Kaufleuten wochenlang über die Alpen gequält und wäre mit seinem Pferd im Geröll nicht ausgerutscht. Unterwegs hatte er sich schon ausgemalt, welche Setzlinge er für Adelaidas Garten aus den Ablegern des Fuggergartens ziehen wollte. Nun musste er dem Gärtner alles anschaffen und der maulte, weil es im Frühjahr mehr als genug zu tun gab. Aber die Handverletzung hatte auch Vorteile. Philipp musste Vater nicht zeigen welche Fortschritte er im Lautenspiel gemacht hatte. Er wüsste gar nicht, wie man das Ding überhaupt richtig hielt. Nur im Alchimistenkeller sah es noch genauso aus wie immer. Im hinteren Gewölbe stand Vaters Bett, aber das fiel kaum auf, zwischen den Kleiderhaufen, Jagdtrophäen und Pergamentrollen.
»Anna hat schreckliche Dinge gesehen«, fing Vater an, nachdem er Philipp und Octavian herbestellt hatte. Er räumte zwei Stühle für sie frei. »Ich hoffe, wir drei muntern sie zu ihrem Geburtstag etwas auf.«
Philipp zwang sich ruhig zu bleiben. Er konnte es nicht glauben. Wegen Annas Geburtstag hatte er zurückkommen müssen.
Vater starrte in das flackernde Feuer des Athanors: »Auch wenn Musik im Haus nicht mehr erwünscht ist.«
Am liebsten wäre Philipp aufgesprungen und hätte Vater ins Gesicht geschlagen. ›Nicht mehr erwünscht!‹ Durfte ein Fugger sich das gefallen lassen. Sollte er sich doch in seinen Glaskolben auflösen oder sich oben in seinen Büchern vergraben. Er verdiente keinen Respekt mehr. Philipp schnaubte verächtlich.
Vater musterte ihn. »Mir ist zu Ohren gekommen, Philipp, dass du dich in Venedig herumtreibst. Weißt du nicht, dass es keinem Ausländer erlaubt ist, sich allein außerhalb des Handelshauses aufzuhalten?«
Philipp sah zu Octavian, doch der hob die Schultern, als wisse er von nichts. »Was meint Ihr?« Philipp zwang sich ruhig zu bleiben. Unmöglich, von Adelaida konnte keiner wissen, er hatte es auch Octavian nicht erzählt.
»Deine Oheime und ich hatten gehofft, du würdest zu Reife gelangen.« Vater baute sich vor ihm auf. »Du glaubst wohl, ein Fuggersohn darf ungesehen herumstreifen wie es ihm passt. Faktor Rummel hat mir geschrieben. Meinst du, wir lassen dich nur einen Augenblick unbeobachtet?«
Der Deutsche, in Philipp brodelte es, der ihn in Venedig bespitzelte, hatte es im Auftrag seiner Familie getan. Vater packte seine Hand und riss den Verband herunter. »Wenn ein Fugger vom Pferd fällt, dann steht er wieder auf, merk dir das.« Philipp stöhnte vor Schmerz, als die Wunde aufplatzte, biss aber die Zähne zusammen.
Vater ließ sich in einen Sessel fallen. »Octavian, lass uns beide wenigstens etwas einstudieren. Du kannst gehen, Philipp.« Er wedelte abfällig mit der Hand, wie er es sonst nur bei Dienstboten tat. Philipp erhob sich und trampelte davon, trat dabei absichtlich auf alles was am Boden lag. »›Ca’ dei desideri‹, das Haus der Wünsche«, rief ihm Vater hinterher. »Sag, ist die Besitzerin, Venedigs berühmteste Kurtisane, noch immer so schön?«
29. Die Namenspatronin
Anna erwachte. »Siebenundzwanzigster Februar fünfzehnhunderteinundsechzig«, sagte sie laut in den Morgen. Sie räkelte und streckte sich im Bett. Wenn sie nicht aufstehen musste, war sie komischerweise nicht mehr müde. Sie beugte sich über die Bettkante und spähte durch den Baldachin zum Fenster hinaus. Wolkenverhangener hellgrauer Himmel. Vielleicht würde es noch mal schneien. Heute war ihr vierzehnter Geburtstag. Sie lauschte auf die Geräusche im Haus. Hörte sie schon die tappenden kleinen Füße ihrer Geschwister auf der Stiege und ein Flüstern und Wispern vor der Tür? Wie jedes Jahr freute sie sich, gleich von ihrer Familie mit ihrer brennenden Taufkerze geweckt zu werden. Doch es blieb still. Mechthild schlief seit der Teufelsnacht und Annas Zusammenbruch in ihrem eigenen Bett in der Kleinkindkammer. Von unten drangen die üblichen Geräusche der Dienstboten herauf: Geschirrklappern, Stühlerücken, Kachelöfen anfeuern. Vielleicht hatten sich einfach alle verspätet oder sie bereiteten noch eine Überraschung vor. Was sie wohl geschenkt bekam? Gleich würde sie sich schlafend stellen, ihr Grinsen im Kissen verstecken und auf die feuchten Küsse von Albert und Mechthild warten.
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