Im Labyrinth der Fugge
begriff gar nichts mehr, einerseits verteufelte er ihr Werk, andererseits sollte sie für ihn zeichnen. »Wie geht es der Küchenmagd, Isabella?«, fragte sie geschwind. Die Seelenfrage, jetzt war sie heraus.
»Auch sie wird bekehrt werden, schon bald, und du wirst dabei sein.«
»Sie soll nicht auf den Scheiterhaufen?« Sie wollte aufspringen, der Pater hielt sie zurück. Er streifte sich einen Ring vom kleinen Finger, kam Anna dabei so nah, dass er sie mit dem Ellbogen berührte. Sie presste sich in die Lehne des Diwans.
»Gib mir deine Hand.« Canisius wartete nicht, bis Anna sie ihm entgegenhielt, sondern nahm ihre Rechte. Seine schuppige Haut fühlte sich so kalt an. Anna wollte ihre Hand wegziehen, doch er hielt sie fest, schob ihr den Ring, der aus zwei Silberstreifen gedreht war, erst auf den Ringfinger, da war er zu groß, dann auf den Mittelfinger.
»Trage dies als Erinnerung an dein Versprechen«, sagte er feierlich.
»Ich …, ich habe nichts versprochen.« Anna versuchte den Ring wieder abzuziehen, aber es gelang ihr nicht.
»Heiratswillige Frauen gibt es genug, aber Buchmalerinnen mit Talent nur sehr selten. Versprich niemals zu heiraten und ich verspreche dir, dass du etwas Großes, Gottgefälliges schaffen kannst.«
»Wie kann es nicht gottgefällig sein, einen Mann zu ehelichen und Kinder zu gebären?«
»Dieser Ring ist bei wachsendem Mond gefertigt worden«, erklärte Canisius. Anna drehte und rieb, aber er schien sich festgesaugt zu haben. Je mehr sie versuchte, ihn herunterzudrehen, desto weniger ließ er sich bewegen.
»Bitte die Köchin, dir etwas Speck und Safran zu geben und reinige den Ring damit. So wischt du alle schädlichen Gedanken fort, die der Ring von dir absammelt, und bist gegen böse Kräfte gefeit. Du wirst behütet sein, wirst Feind und Hindernis überwinden.«
Dann hatte der Pater viele Feinde, so viele Ringe wie er trug, dachte sie.
Er stand auf, sie konnte Luft holen.
»Dank deiner Mutter, wird Isabella Brücklmeier nicht der Inquisition übergeben. Die Unglückliche isst Glas.« Er zog seinen Weihwasserpinsel aus dem Fläschchen, bespritzte Anna und verabschiedete sich von ihr mit einem Segensspruch.
Verwirrt trat sie ans Gangfenster und hielt den Ring ins Licht. Die rechte Hand hatte sie eigentlich für einen Bräutigam freigehalten und nun hatte ihr ein katholischer Beichtvater ein Versprechen abverlangt. Sie musste den Ring tragen, sonst würde es Mutter oder Canisius merken. Ein Versprechen, das kam einem Verlöbnis gleich. Verloben wollte sie sich nur mit einem Liebsten, nicht mit Gott, oder wie auch immer es sich der Pater vorstellte. Sie drehte sich, wollte die Stiege hinuntereilen.
»Huhu, ich bin’s der Teufel, zeigst du mir, was ich nicht habe?«
Anna schrie auf. Zwei Gestalten sprangen sie von den Stufen aus an.
»Oder bist du etwa keine Jungfrau mehr?« Die Brüder grölten. Sie waren zurück. Wer hatte ihnen von der Teufelsnacht erzählt? Octavian versuchte, Annas Rock hochzuheben. Sie trat ihm ins Gesicht und lief hinunter.
»Du lebst ja noch?« Philipp lachte fast wie Vater. Seine Stimme war gleichmäßig tief. Aus einem Verband an seiner Linken lugten schmutzige Fingernägel wie immer.
»Und du? Hast du dir die Finger beim Nasebohren gebrochen?«, zischte Anna.
»Noch lebt sie«, rief Octavian ihr mit der Hand an der hoffentlich gebrochenen Nase hinterher. Ihr jüngerer Bruder war dicker geworden, hatte sich ansonsten kaum verändert. Aber Philipp war gewachsen, überragte sie um Kopflänge. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen und sein hageres, kantiges Gesicht glich dem eines Raubvogels.
»Gibt es eine weibliche Form von ›diabolo‹?«
Der Lateinunterricht hatte wieder begonnen. »Und wie dekliniert man ›sterben‹?«, heuchelte Philipp. Magister Weißfuß freute sich über Philipps Wissbegierde. Vor seiner Venedigreise hatte er den Magister mit seinen erdverkrusteten Händen zur Weißglut getrieben und war eher teilnahmslos, nach Oheim-Christoph-Art, im Unterricht gesessen. Philipp wiederholte laut und gedehnt Weißfuß’ Übersetzungen, starrte dabei Anna an.
»Ich sehe schon, die Kavalierstour trägt Früchte. Sehr erfreulich, Conte, das wird Eure Mutter gern hören. Aus Euch wird mal ein großer Gelehrter und meine Wenigkeit durfte dabei einen winzigen Beitrag leisten, welche Ehre.«
»Decedo, decessi, decessum …«, deklinierte Philipp wieder. »›Decessum‹ heißt wirklich ›sie stirbt‹?«
Magister
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