Im Labyrinth der Fugge
Eure Tochter.«
Ursula nickte schwach, warf Anna einen vernichtenden Blick zu und wankte hinaus. Sonst war ihre Mutter darauf bedacht, dass ihre Töchter nie mit einem Mann allein in einem Raum waren. Vermutlich zählte der Pater nicht, als vierzigjähriger Greis und Kuttenträger in einem. Ein Wunder, dass er noch aufrecht stehen konnte, dachte Anna. Durfte ein katholischer Priester überhaupt mit einem Weib allein sein? Aus seiner Warte war sie wahrscheinlich noch ein Kind. Anstatt eines roten Feigenblatts, verbarg sich wohl auch unter seinen gefalteten Händen und der schwarzen Kutte solch ein Brezelbub, von dem er ständig sprach und den auch der Teufelsmönch gebändigt haben wollte. Sie würde Canisius nach Schellebelle fragen und wenn es sein musste, würde sie kniend um ihre Befreiung bitten.
»Hast du das irgendwo abgeschaut, aus einem Buch oder von einem Bild?«, fragte er.
Anna verneinte. Sollte sie ihm erzählen, dass sie eigentlich eine einfache Bordüre sticken wollte? »Ich zeichne gerne …«, jedenfalls früher war es so, ergänzte sie im Stillen. Warum sollte sie nicht ein bisschen von sich erzählen und sein Vertrauen gewinnen, dann würde er ihr bestimmt sagen, was mit Schellebelle war. »Meist fange ich irgendwo an, habe keine genaue Vorstellung von dem fertigen Bild, es ergibt sich einfach.« Noch nie hatte sie mit jemandem über ihre Einfälle gesprochen. Malerei, war es das überhaupt gewesen? In Canisius’ Augen wohl eher eine Verrichtung für adlige Damen, die Stunden zwischen den Messen zu überbrücken.
»Du bist begabt. Man meint fast, der Giftkopf der Schlange würde beißen. Damit hast du deine Mutter ganz schön erschreckt.« Der Pater bleckte die gelben Zahnreihen. »Kennst du die Buchmalerei?«
Anna nickte. »Mein Vater erlaubt mir, in seiner Bibliothek die Handschriften zu betrachten.«
»So, dann werde ich ihn auch bitten, mir diese Bücher zu zeigen. Nicht jedes wissenschaftliche Werk sollte für die Augen eines …, einer jungen Dame bestimmt sein. Möchtest du mir nicht etwas sagen, Anna?« Seine hellen Augen versuchten, sie zu durchdringen, die Pupillen schwammen wie Erbsen in der Iris. »Hast du in Gedanken und Taten gesündigt, mein Kind?«, fragte er.
Wie kann es Sünde sein, zu denken? Doch Anna wusste, welche Tat er meinte. Sie hatte dem schwer verletzten Mönch die Hilfe verweigert.
»Erleichtere endlich dein Herz«, drängte er. Dieselbe Floskel, die er in der Dachkammer gebraucht hatte.
»Pater?« Anna kam es komisch vor, jemand anderen als ihren richtigen Vater mit dem lateinischen Wort für Vater anzureden.
»Ja, mein Kind?« Canisius riss die Augen noch weiter auf, gleich würden sie ihm herausfallen. Der Augapfel auf dem Küchenboden. Anna schwankte, sie musste sich hinsetzen.
»Was sind Exerzitien?«
»Du kannst doch Latein, Anna.« Er setzte sich neben sie, sogleich umhüllte sie ein Geruch nach abgestandenen Wasser, nein, Nachttopfgeruch.
Anna schluckte und nickte. »Exerceo heißt ›ich übe‹, aber auch ›ich plage mich‹. Was würde ich mit Euch üben?«
»Du würdest lernen, deinen Geist ausschließlich in Gott zu versenken und nicht mehr in weltlichen Dingen.«
»Nicht in weltlichen Dingen? Aber ich lebe doch in dieser Welt, und es gibt so vieles, was ich noch nicht kenne, wie kann ich mich jetzt schon abwenden?« Er kam ihr so nahe, dass sie die Luft anhalten musste, um den Brechreiz zu unterdrücken. Trug er Jahr und Tag nur diese eine Soutane oder pieselte er wirklich nicht in den Nachttopf, sondern hielt sich den Strahl um die Ohren?
»Gott hat sich von Eva abgewandt. Nachdem er in nur sieben Tagen das Paradies erschaffen hatte, ruhte er sich am achten Tag aus und da verdarb ihm Eva alles.« Er versenkte seine Zähnchen in der Unterlippe. »Jedes Weib sollte dem Schöpfer Demut darbringen und möglichst nach Bescheidenheit streben. Auch die Fragerei ist unzüchtig. Aber sie soll Teil der Exerzitien sein.« Er zupfte mit seinen dürren Fingern an seinem faltigen Hals. Hautschuppen lösten sich. Seine Ringe schlackerten. »Beginne mit der Sünde, Anna. Niemand ist ohne sie. Gerade ihr Frauen kommt damit auf die Welt. Zeigst du mir deine Malereien?«
Sie musste nachher gleich die Blätter auf ihrem Schreibpult durchsuchen, und dann am besten alles verbrennen.
»Ich will mit deinen Eltern sprechen, solch eine Begabung sollte gefördert werden. Für ein umfangreiches Werk, an dem ich arbeite, brauche ich ein paar Bilder.«
Anna
Weitere Kostenlose Bücher