Im Labyrinth der Fugge
musst du da eigentlich nähen, Anna?«
»Die zwei Hemden genau übereinander, dass ringsum kleine Vierecke entstehen, die auf einer Seite offen sein sollen.«
Sie spekulierten, was das für einen Sinn hatte.
»Vielleicht will Stinkbeutel sich duftende Kräuter reinstecken, dann sollten wir nicht über die Arbeit meckern, sondern dankbar sein und uns auf den Wohlgeruch freuen«, meinte Sidonia.
»Oder er braucht die Beutelchen für Geld, damit er den Überblick erhält, was von wem gespendet wurde. Eines von den Welsern, von den Rotschilds und den anderen armen Sündern«, schlug Virginia vor.
»Eines …?«, unterbrach Sidonia. »Eher ein Diamant hier, ein Smaragdkettchen da, ein Goldstück hier …
»Dafür sind die Hohlräume zu klein und das Leinen zu dünn. Es ist fast durchsichtig«, stellte Anna fest. »Vielleicht soll ich es verstärken, damit er Luft hineinpumpen kann und er nachts weicher liegt.« Sie kicherten, waren sogleich wieder ernst, als Mutter zu ihnen herübersah. Doch ihr Blick ging durch sie hindurch und sie tunkte die Feder erneut ins Fass.
»Was schreibt Mutter bloß?«, flüsterte Anna.
»Vermutlich zählt sie ihre Sünden auf, damit sie …« Sidonia ahmte mit gepresster Stimme Canisius nach. »… ›nicht auf ewig von glühenden Zangen gezwickt werde, an Stellen, die ich aber vorher erst einmal begutachten müsste.‹«
»Ich habe da einen anderen Einfall …«, sagte Anna nach einer Weile. Sidonia und Virginia rückten näher zu ihr. »Ich glaube, dass sie bei Freunden und Bekannten um die Freilassung von Schellebelle bittet.«
Sidonia lehnte sich zurück. »Unsere Mutter soll sich für eine Küchenmagd einsetzen?«
»Ich habe es gehört, wie sie den Pater darum gebeten hat.«
Mutter winkte dem Hausmädchen. Es hielt die Kerze, während die Gräfin mit dem spanischen Wachs, das Anteile aus Elfenbein enthielt, die Briefe betropfte und Vaters Siegelring hineindrückte. Severin sollte die Briefe austragen.
Kaum war Mutter zur Abendmesse aufgebrochen, huschten die Schwestern hinüber und lasen das verworfene Bütten, auf dem sich kleine Tintenkleckse wie schwarze Fangarme über den Wörtern verteilt hatten.
›Fam. Ge… und Ur… Fugg.. – Lichtenst..n laden am Sonntag, … Anno D.mini 1561 in den Augsb…er Mariendom zum groß.n, heilig.. E…z…m.s. Für ansch… Verk… igung ist im Hause Fu.ger, Klee…a…ergasse gesorgt.‹
»Mutters Taufe?«, rätselte Anna. Mit dem Beistand des Erzengels wahrscheinlich.
45. Die Apostel
Auch im Domviertel trieb sich Kellenbenz herum wie die Vogelfreien und Bettler, die sich auf dem Fronhof versammelten, um die Nacht auf den Stufen oder in einer der zahlreichen Steinnischen des Doms zu verbringen. Wenn man Glück hatte, ließ sich der Kirchendiener sogar zu einer warmen Suppe herab. Die Büttel mieden das Domviertel, der Arm Gottes oder die Androhung des Teufelspießes reichten hier weit genug, um für Recht und Ordnung zu sorgen.
Die Nachtgestalten hatten ihre angestammten Plätze und verteidigten diese bis aufs Blut. Doch nach einer Rauferei, bei der Kellenbenz zwar diesmal seine Stiefel behalten, aber die gute Schaube gegen das löchrige Wams des Bettlerkönigs tauschen musste, ließen sie ihn in Frieden.
Zerschlagen lehnte er sich zwischen die Steinapostel. Sollten nachts die Schemen ruhig kommen und ihn endgültig erledigen. Sie würden ihm die Entscheidung abnehmen, sich selbst zu richten. Nach dem Vorfall beim Frauenhaus verwahrte er das Säurefläschchen im linken Stiefel. Die eisigen Steine kühlten sein schmerzendes Gesicht. Er versuchte wegzudämmern, dabei rief er sich das Antlitz der wilden Frau in Erinnerung. Ihr weißes Hemd. Es glänzte wie der Mond, bauschte sich sanft im Wind, darunter war sie nackt. Sein Blick glitt an ihrem Leib hinauf und hinunter. Immer näher trat er, presste sich an sie. Ihre Haut war kühl und … Er fiel nach hinten, das Nordportal des Doms hatte nachgegeben. Er kroch hinein. Im Kircheninneren war es finster und genauso kalt wie draußen. Kellenbenz tapste auf dem eisigen Steinboden herum, hangelte sich an Säulen vorbei, stolperte über Bänke. Einmal stieß er gegen einen Steinsitz, der von Tieren gestützt wurde, ertastete menschliche Gesichter, Klauen und Schwänze von Löwen. Das musste der Bischofsthron sein. Er kletterte enge Holzstufen hinauf und hoffte auf einen warmen Winkel, wo er zur Ruhe kommen konnte. Oben kauerte er sich an eine verwinkelte Holzwand und schlief
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