Im Labyrinth der Fugge
einzig der Altarraum erleuchtet war.
Schwarz gekleidete Messdiener trugen eine helle Gestalt mit verfilzten Haaren auf einem Brett herein.
Anna schrie auf, wie einige andere auch, und spürte sogleich einen Arm hinter sich, der sie niederdrückte. »Herr im Himmel. Lass das da vorn nicht Schellebelle sein.« Viele kleine Beulen spannten sich über einem hochschwangeren Leib. Geschwüre? Nein, die Gestalt trug das doppelte Leinenhemd, das Anna genäht hatte. Die Messdiener kippten das Brett auf den Altar, die Frau rollte ausgestreckt und leblos darauf. Ihr Gesicht fiel zur Menge hin: Schellebelle, abgemagert bis auf einen Kugelbauch, der sich hob und senkte.
Canisius trat vor und rückte Schellebelles Kopf mit seiner in scharlachrote Seide gehüllten Hand und den funkelnden Ringen darauf, wieder zum Kirchenhimmel. Dann sprach er zum Volk. »Lasst uns der Gefallenen helfen, dem Teufel trotzen, mit dem sie gebuhlt hat.«
Anna schmeckte Blut, sie hatte sich auf die Finger gebissen.
Was hatten sie der liebsten Freundin angetan? Ihre Mutter ließ Anna los und bekreuzigte sich hastig.
Rufe wurden laut: »Herunter vom geweihten Tisch mit der Ketzerin, besudelt den Marienaltar nicht mit einer Dirne!«
Canisius hob beschwichtigend die Arme: »Sehet, da liegt sie die Sünderin, und kann ihre Schande nicht mehr verbergen.«
Geschrei hob wieder an: »Wir wollen sie brennen sehen, auf den Scheiterhaufen mit ihr!«, bis Canisius mit einer schnellen Bewegung durch die Luft schnitt und alle verstummten. »Aber ich sage Euch, auch sie wird geläutert werden.« Er nickte einem Messdiener zu, der nun mit Lederhandschuhen neben den Altar trat und einen geschliffenen Glaskelch hochhielt. Mit Wucht zerschlug er das Glas an einer Silberkante, bückte sich und sammelte die Scherben auf. Schellebelle regte sich bei dem Klirren, sie atmete heftiger. Was hatte er vor? Canisius bat einen Mann in der dritten Reihe aufzustehen und zu prüfen, ob es sich um echtes Glas handelte. Der Mann bejahte. Dann schritt der Pater zu Schellebelle und hob eine Scherbe über ihren Leib.
Ein Raunen ging durch die Menge, dies war besser als jede Hinrichtung. Sie würden gleich einen Wechselbalg zu sehen bekommen, den der Pater der Sünderin aus dem Leib schnitt.
Anna hielt es nicht mehr aus. Sie sprang auf, wurde von Armen gepackt, jemand presste sie von hinten zurück auf die Bank. Durch einen Schleier aus Rotz und Tränen verfolgte sie das Entsetzliche. Warum half keiner, warum ergötzten sich alle an Schellebelles Leid! Mutter, du trägst doch selbst ein Kind in dir, wie kannst du das dulden?
Der Pater verteilte die Scherben auf ihren nackten Beinen, dem Leib und ihrer Brust. Anna hörte Schellebelle keuchen, so still war es wieder im Dom. Dann schnellte die Hand der Magd vor.
Ja, dachte Anna, schlag ihn weg! Doch Schellebelle griff nach den Glasstücken und steckte sie sich in den Mund. Unter ihren Wangen zeichneten sich die Kanten der Scherben ab, die sie im Mund hin und her schob. Spürte sie denn nichts, zerschnitt sie sich nicht die Zunge?
Canisius schwenkte einen Jesus am Kreuz über ihr. »Widersagst du dem Satan?«, fragte er.
Die Magd kaute, würgte, richtete sich etwas auf, fiel zurück.
»Widersagst du ihm, mit all seinen Helfershelfern?«
Sie hustete, versprühte etwas Dunkles und wimmerte, aß dabei weiter unentwegt Glas als wäre es Brot.
Ein Rinnsal Blut rann aus ihren Mundwinkeln. Canisius holte mit dem Kruzifix aus, als wollte er sie schlagen, bremste kurz vor ihrem Gesicht ab. Sie riss den Mund auf, es entfuhr ihr ein Röcheln. Mit weit aufgerissenen Augen stierte sie ins Gebälk.
»Fahre heraus, Feuergeist«, sprach Canisius. Wie aus dem Nichts unter dem Altar hervorgezogen, hielt er eine Kerze, senkte sie an den Hemdsaum der Magd. Es knallte und eine Flamme stob heraus.
»Eins«, zählte ein Messdiener laut.
Der Pater hielt die Kerze an Schellebelles Brust.
»Zwei.« Eine weitere Stichflamme. »Drei, vier, fünf, sechs, sieben …«
Die Flammen stiegen empor, lösten sich in Wölkchen auf und verschwanden. Schellebelle wand sich, aber die drei anderen Diener pressten sie an den Armen und Füßen auf den Altar. Canisius lenkte mit lateinischen Beschwörungsformeln die Flammen, je lauter er sprach, desto größer wurden sie. Jeder Knall schien Anna selbst ins Herz zu treffen. Sie zuckte und bestand gleichzeitig nur noch aus glühenden Augen, die fassungslos starrten. Unberührt zählte der Diener weiter, nach und nach
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