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Im Labyrinth der Fugge

Im Labyrinth der Fugge

Titel: Im Labyrinth der Fugge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abe
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fielen die Leute mit ein. Mit jeder Zahl flammte Schellebelle auf. Ihr ganzer Leib musste schon versengt sein.
    »Siebenundachtzig, achtundachtzig …«
    »Weiter, weiter«, kreischten die Zuschauer, sogar der Fürstbischof auf seinem löwengestützten Thron geiferte mit. »Macht der Hexe den Garaus!«
    Alles durchdringend, brüllte plötzlich jemand wie ein wildgewordener Bär.

47. Der Oberteufel
    Von den Böllern endgültig wachgerüttelt, öffnete Kellenbenz die Augen und lugte vorsichtig über die Brüstung der Kanzel, auf die er in der Nacht gestiegen war. Er sah in ein düsteres Kirchenschiff auf Menschen hinab, fein säuberlich in die Bänke gezwängt. Manche hockten auf mitgebrachten Stühlen im Gang. Sogar der Scharfrichter mit seiner Familie saß, mit einem Ächtungspfad ringsum, dort unten. Alle starrten auf das Spektakel am hell erleuchteten Altar. Es zischte, Funken stoben und eine schwangere Frau stöhnte auf, aus deren Leib die Flammen züngelten. Die wilde Frau, Kellenbenz erkannte sie. Keiner der Gaffer erhob sich, keiner griff ein. Ihr Hemd hatte viele Brandlöcher, rosiges Fleisch lugte hervor. Ein Ministrant löschte die Stichflammen mit einem kleinen Becher, und Canisius entfachte mit Zauberworten die nächsten. Die schöne Wilde wand sich, wenn auch nur schwach, wie ein großer weißer Wurm, der ausgeweidet wurde. Es musste aufhören, auf der Stelle! Nicht schon wieder sollte dieser Pater Leben, ein ungeborenes dazu, zerstören. Kellenbenz zog das Fläschchen aus seinem Stiefel und zerrte den Stöpsel heraus. Als er sich über die Brüstung beugte, brüllte er so laut wie noch nie, sein ganzer Seelenschmerz entfuhr ihm. Canisius trat vor den Altar unter die Kanzel und breitete die Arme aus. Kellenbenz holte aus und goss die Schwefelsäure über den Oberteufel.

48. Das Xocolatl-Lied
    Ein Messdiener warf ein Tuch über die brennende Magd und erstickte das Feuer. Canisius schritt vor, stieg die beiden Stufen hinunter. Er hob den Arm zum Segen und stolperte. Etwas regnete von oben herab, hockte eine Taube auf der Kanzel? Canisius knickte ein und Anna sah, dass dicht neben seinem Schuh ein Brandloch im Teppich schwelte. »Schellebelle, Schellebelle«, murmelte sie immerfort, ihre Kehle war vom vielen Schreien zugeschwollen. Ratsherren, die unter den Gaffern gesessen hatten, stürmten die Kanzel und schleiften einen breitschultrigen Mann im Kittel hinunter. Sie schlugen auf ihn ein und verschwanden mit ihm durch den Seiteneingang. Das war doch wieder der Kürschner? Schellebelle, oder das, was noch von ihr übrig war, wurde auf das Brett zurückgerollt und fortgetragen.
    »Ein Wunder, es ist ein Wunder geschehen!«, hob jemand an und andere fielen in das Jauchzen ein. »Pater Canisius lebt!« Anna sank zwischen den Bänken zusammen.
    Sie hörte Mutter die Zofen und Diener anweisen, die Kinder hastig aus dem Dom zu schaffen, bevor die Menge sie zerdrückte. Ihr wäre es gleich, ob ihr jemand auf die Hand trat oder in die Seite stieß. Sie wünschte es sich fast. Jede Pein brachte sie der Qual näher, die ihre liebste Freundin erleiden musste. Schellebelle war tot, sie musste tot sein, das überlebte man doch nicht.
    Anna hockte zwischen den Bänken. Bunt gemusterte Stoffe, schwere Mäntel, Schwertscheiden und Waffenröcke streiften über sie hinweg.
    »Conteffa, erhebt Euch.« Sie fühlte sich nicht angesprochen, in ihren Ohren gellten die Schreie und das Bärengebrüll. Auf einmal schwebte sie, flog auf die Wolken dort oben am dunklen Himmel zu. Oder waren es die Rauchschwaden von verbranntem Fleisch? Sie musste auch hinauf, Schellebelle wartete dort mit ihrem Kind im Arm. Anna versuchte ihren Willen in ihre Arme zu lenken, doch da war keine Kraft mehr. Jemand half ihr aufzustehen und führte sie zwischen den Leuten durch. Auch draußen roch es nach verbranntem Fleisch. Sie hörte Albert neben sich weinen und sah in Julius’ finsteren Blick. In der Kutsche lag Mechthild in Sidonias Armen. Erst jetzt bemerkte Anna, dass Severin sie geführt hatte. Vermutlich hatte er sie auch die ganze Zeit niedergedrückt und zurückgehalten. Schweigend hob er sie auf die Sitzbank. Anna hatte einmal einen Puppenspieler auf dem Perlach gesehen, an fast unsichtbaren Fäden führte er seine selbst geschnitzten Figuren. Sie bewegten sich, wenn er es wollte, sie verbeugten sich, wenn er den Faden am Kopf lockerte, sie marschierten, wenn er den Faden stramm zog. Sie sprachen mit seiner Stimme und wurden ins Feuer

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