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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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hängen.
    Elisa hatte schon vor einigen Wochen erfahren, dass Cornelius sie zeichnen sollte – von Christl, die leichtfertig seinen Namen in ihrer Gegenwart aussprach, weil sie nichts von ihrem Schmerz wusste –, aber erst heute hatte sie das Werk zu sehen und zu bewundern bekommen.
    Elisa fühlte, wie eine Hand nach ihr griff. Sie blickte auf und sah, dass Lukas, der neben ihr stand, sie anlächelte. Wie dumm es war, Cornelius so auffällig anzustarren!, schoss es ihr durch den Kopf.
    Bis heute wusste sie nicht, ob Lukas etwas von ihrer tiefen Zerrissenheit ahnte, wie sehr sie sich wünschte, dass Cornelius auf ewig hierbleiben würde, und zugleich, dass er doch wieder ginge. Sie trachtete danach, ihm aus dem Weg zu gehen, und lebte dennoch für seltene Augenblicke wie diese, da sie in seiner Nähe war.
    »Die Schule ist schön geworden«, murmelte Lukas.
    Elisa nickte rasch.
    Cornelius weigerte sich weiterhin, Jules Rede zu ergänzen, so dass sie erneut selbst das Wort ergriff und vom hohen Wert der Bildung redete. Elisa hörte nicht auf die Worte. Um Cornelius nicht länger ansehen zu müssen, glitt ihr Blick auf die Kinder, die diese Schule besuchen würden, allen voran ihre beiden ältesten Söhne.
    Der erste war nach seinem Vater Lukas benannt worden, doch um die beiden voneinander zu unterscheiden, wurde er nur Lu gerufen. Der zweite hieß Leopold wie sein Onkel, der auch sein Taufpate gewesen war, und alle nannten ihn Leo. Knapp hintereinander waren die beiden auf die Welt gekommen und glichen einander wie Zwillingsbrüder – nicht nur, was Statur und Aussehen anbelangte, sondern vor allem ihrem Wesen nach: Sie hatten erst spät zu sprechen gelernt und waren wortkarg geblieben; sie sahen ihren Eltern neugierig beim Arbeiten zu und packten früh mit an. Sie liebten es, durch die Wälder zu streifen, kaum dass sie laufen konnten, und mochten es, stundenlang in der Erde zu graben. Gerade erst gestern hatten sie Überreste von Töpfen und Handmühlen gefunden, die wohl von jenen Indianern stammten, die lange vor den deutschen Siedlern am Ufer des Llanquihue-Sees gelebt hatten.
    Elisa war dankbar, dass die beiden aneinander hingen und so selbständig waren, und zugleich ein wenig befremdet, dass sie sie nicht zu brauchen schienen. Gewiss, es war nur allzu verständlich, hatte sie doch immer viel zu wenig Zeit für sie gehabt. Nach den Geburten war sie schnell wieder auf den Beinen gewesen. Wie die Chileninnen hatte sie die Säuglinge in Umhangtücher gewickelt, wenn sie aufs Feld ging, und als sie zu schwer wurden, setzte sie sie – ebenso wie die Chileninnen – ab, auf dass sie selbst laufen lernten. Zeit, es ihnen beizubringen, hatte niemand. Und ehe sie sichs versah, waren aus den pausbäckigen Kleinkindern schlaksige Knaben geworden, die sich ohne ihre Hilfe in der Welt zurechtfanden.
    Aus Elisas wehmütigem Lächeln wurde ein warmes, als sie ihren dritten Sohn betrachtete, der sich an ihrer Schürze festhielt.
    Er hieß nach seinem Großvater Richard, aber alle nannten ihn Ricardo, so wie sich viele der Kolonisten angewöhnt hatten, sich mit spanischem Vornamen zu rufen. Elisa war sich nicht sicher, warum sie ihn mehr liebte als die älteren Brüder: Vielleicht, weil im Jahr seiner Geburt die Ernte erstmals überreich ausgefallen war und sie mehr Zeit für ihn hatte; vielleicht, weil er zu klein war, um mit den älteren Brüdern zu spielen, und darum oft so verloren wirkte.
    Elisa streichelte ihm über das Haar. Seine Locken waren im Gegensatz zu den borstigen Stacheln von Lu und Leo weich. Nicht lange war es her, da geweihtes Wasser sein Köpfchen benetzt hatte und er getauft worden war – von Cornelius, den Christine und Jule kurz nach seiner Ankunft zu ihrem Pastor bestimmt hatten. Schließlich sei sein Onkel einer gewesen – dergleichen familiäre Bande müssten eine Ausbildung doch ersetzen. Cornelius hatte lautstark beteuert, für dieses Amt nicht würdig zu sein, doch Jule war ihm harsch über den Mund gefahren, so dass ihm schließlich nichts anderes übriggeblieben war, als nachzugeben.
    »Hier zählt einzig, ob man eine Sache kann, nicht ob und wie lange man sie gelernt hat«, hatte Jule gesagt. »Sind wir nicht alle Lehrer und Tierärzte und Apotheker und Köche und Tischler und Schneider?«
    Sie war ohne Zweifel am liebsten Lehrerin.
    Elisa verdrängte die Erinnerung an Ricardos Taufe – ebenso schön wie schmerzhaft war es gewesen, als Cornelius ihren Jüngsten in seinen Armen

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