Im Land der Feuerblume: Roman
durstig – nach etwas Starkem, Scharfem, nach etwas, das ihn vergessen ließ.
Er seufzte. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, dieser verfluchten Rothaut eine seiner letzten Flaschen zu geben.
24. KAPITEL
S ämtliche Siedler hatten sich vor dem Gebäude versammelt, das künftig als Schule dienen würde. Jeder hatte einen Beitrag dazu geleistet – entweder in Form von Holz, Nägeln und Geräten oder durch der eigenen Hände Arbeit. Nun war die Zeit gekommen, das Werk stolz zu betrachten – und am stolzesten war Jule, die eine Rede halten wollte. Zumindest hatte sie das angekündigt, obwohl sie erst mal nichts sagte, sondern eine Weile wartete – vielleicht, um den Augenblick zu genießen, da ein langgehegter Traum Wirklichkeit wurde, vielleicht, damit das Gemurmel erstarb und sie in die Stille sprechen konnte.
Elisa sah darin ein ganz und gar zweckloses Unterfangen: Still war es bei ihnen nie – nicht inmitten dieser Fülle an Kindern, von denen die wenigsten ruhig stehen konnten, schon gar nicht ihre eigenen.
Schließlich begnügte sich Jule damit, dass zumindest die Erwachsenen sie aufmerksam ansahen, und begann mit ihren feierlichen Worten: »Wir sind nicht die ersten Deutschen in Chile, die eine eigene Schule gründen. Wir sind auch nicht die ersten, die es für ungemein wichtig halten, dass wir die eigene Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, an die nächsten Generationen weitergeben. Aber vielleicht sind wir die ersten einer so kleinen Siedlung wie der unseren, die sich den Luxus einer solchen Schule erlauben.«
Sie blickte befriedigt auf das Gebäude. Es bestand aus einem großen Raum im Erdgeschoss und einer kleinen Kammer darüber, in der sie künftig leben würde. Elisa konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass ihr das – noch mehr als die Schule – am meisten am Herzen lag: eine eigene Heimstatt zu besitzen und sie mit niemandem teilen zu müssen. Einsamkeit war für Jule ein kostbares Gut, wie alle wussten. War sie zu viel mit Menschen zusammen, wurde sie noch mürrischer und schroffer, als sie sich ohnehin gab.
»In Osorno«, fuhr Jule fort, »ist vor acht Jahren die erste deutsche Schule gegründet worden, es folgten weitere in Melipulli, das nun Puerto Montt heißt, Valdivia und kürzlich in La UniÓn. Nun gut, in den größeren Orten kann man sich erlauben, eigens ausgebildete Lehrer einzustellen. Hier müsst ihr eben mit mir vorliebnehmen.« Ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich für diese Aufgabe nicht minder befähigt, ja eigentlich für die Bessere hielt. »Wir sind auch nicht ganz so gut ausgestattet wie die Schulen anderswo und haben leider keine Wandtafel. Immerhin aber verfügen wir über genügend Stühle und Tische.« Sie bedachte Lukas mit einem wohlwollenden Blick, weil er diese für sie hergestellt hatte. Doch ihr größtes Lob galt nicht ihm. »Vor allem aber haben wir Wandkarten«, fuhr sie fort. »Und das haben wir nur einem zu verdanken.«
Sie drehte sich um, und Elisa folgte ihrem Blick, obwohl es ihr wie immer einen schmerzhaften Stich gab, ihn zu sehen.
Cornelius stand mit etwas gesenktem Kopf nicht weit hinter Jule. Als unauffälliges Mitglied hatte er sich in ihre Gemeinschaft eingefügt, seit er damals vor sieben Jahren zu ihnen gestoßen war – von allen akzeptiert, aber nicht von jedem aufrichtig gemocht. Elisa wusste, dass er hart arbeitete und die eigene Parzelle emsig beackerte, aber weil er als alleinstehender Mann weniger Land bekommen hatte, folglich weniger Felder besaß und er obendrein weder über seine Arbeit klagte noch mit ihr prahlte, hielten ihn die meisten zwar für einen bemühten, jedoch keinen echten Bauern. Der Blick auf ihn fiel eher gönnerhaft als freundschaftlich aus, worüber Elisa wütend war, wenn sie sich denn überhaupt ein Gefühl gestattete. Wenigstens hatte er Quidel, seinen treuen Freund. Allerdings erwies sich der Mapuche als unsteter Gefährte, der oft für Wochen verschwand. Auch am heutigen Tag hatte Elisa ihn noch nicht gesehen.
»Vielleicht solltest du ein paar Worte sagen?«, forderte Jule Cornelius auf. »Diese Schule verdankt dir nicht weniger als mir.«
Rasch schüttelte Cornelius den Kopf. »Ich habe geholfen, wie alle anderen auch. Es ist dein Traum, für den du gekämpft hast.«
»Und für den du in mühseliger Arbeit Landkarten gezeichnet hast.«
Ja, an den Holzwänden des neuen Gebäudes würden eine Karte von Deutschland, eine von Europa und eine von Südamerika
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