Im Land der Feuerblume: Roman
Rede. Alle seufzten erleichtert, weil sie nicht gewohnt waren, so lange ruhig zu stehen – vor allem Resa, die ihre Töchter kaum mehr bändigen konnte. »Genug geredet, genug herumgestanden. Jetzt wollen wir die Tatsache, dass wir eine eigene Schule haben, zum Anlass nehmen, gebührend zu feiern.«
Wie immer lud Annelie zum Mahl, doch anders als früher, da sie aus nichts nur wenig zaubern konnte, bog sich heute die Tafel, die man im Freien aufgestellt hatte.
Zu dem feierlichen Anlass hatten sie eines ihrer mittlerweile fast ein Dutzend Rinder geschlachtet. Annelie hatte das Fleisch mit Öl und Kräutern bepinselt, und jetzt briet es ebenso auf dem Rost wie das mit Mehl eingeriebene Lamm. Dazu wurden Süßmaiskolben und Kartoffeln gereicht, frischer Kürbis und grüne Bohnen.
In einem großen Kessel gleich neben dem Rost köchelte ein Eintopf aus Zwiebeln, Möhren und Paca – ein Nagetier, das man vor allem in der Nähe großer Gewässer leicht jagen konnte und dessen Fleisch ungemein zart war. Das mussten auch die eingestehen, die zunächst nichts essen wollten, was sie nicht kannten. In einem weiteren Kessel hatte Annelie eine Fischsuppe aus Seeaal, Süßwasserbarsch und viel Knoblauch zubereitet, und in einer Pfanne wiederum Eier gebraten.
Seit ihrer dritten Fehlgeburt hatte sie nie wieder versucht, Rhabarberkuchen zu backen, aber sie hatte Brombeeren angesetzt, die ein Auswanderer der späteren Zeit, ein gewisser Adolf Ellwanger, an den Llanquihue-See gebracht hatte. Nicht minder entbehrlich für die dicken, saftigen Schnitten, von denen die Kinder nicht genug bekommen konnten, war ein Mitbringsel von Heinrich Wiederholz, der vor einem Jahr erstmals Honigbienen in Südchile gezüchtet hatte. Annelie hielt sich mittlerweile einen eigenen Stock, der sich vor allem am Nektar der weißen Ulmo-Blüten nährte und von dem sie nicht nur mit dick-braunem Honig versorgt wurden, sondern mit betörend duftendem Wachs.
Wie immer leuchteten Annelies Augen, als sie die Speisen austeilte. Die Lust am Essen war ihr schwerlich anzusehen, denn sie war auch nach den Hungerzeiten mager geblieben, doch die Lust, anderen den Teller vollzuladen, war geblieben.
»Und wer soll das alles essen?«, fragte Elisa, als sie ihre Portion erhielt.
Gleiches ging wohl auch Richard durch den Kopf, der schon am ersten Bissen Fleisch schiere Ewigkeiten kaute. Würde man seinen Appetit zum Gradmesser seiner Laune machen, schoss es Elisa durch den Kopf, so hätte sich diese seit den ersten harten Monaten kaum zum Besseren gewandelt. Doch wenigstens beim Bier aus Valdivia langte er kräftig zu. Noch mehr als die jungen Männer neigte Richard dazu, über den Durst zu trinken – nicht unbedingt, weil er sich berauschen wollte, sondern weil ihn das Bier an die deutsche Heimat erinnerte. Wenn er dann die Augen schloss und sich wohl vorstellte, wieder dort zu sein und auf dem einstigen Gut zu leben, wirkte er für kurze Zeit mit dem Leben in der Fremde versöhnt – ähnlich wie in den Stunden, die er mit seinen Enkelsöhnen verbrachte.
Elisa stellte den Teller ab, kaum dass sie die Hälfte gegessen hatte. Wie das Bier stammte auch das Porzellan aus Valdivia. Sie besaßen nicht viel davon, die meisten mussten von üblichen Bambusplatten essen, doch es war Annelies kostbarster Schatz, dessen waghalsigen Transport sie selbst überwacht hatte – das einzige Mal, dass sie die Siedlung am See verlassen hatte.
Annelie betrachtete Elisas Teller.
»Hast du auch genug gegessen?«
»Natürlich!«, sagte Elisa schnell.
Annelie verzog zweifelnd das Gesicht, aber ehe sie etwas sagen konnte, deutete Elisa zum Lagerfeuer hin.
»Was macht die denn da?«, entfuhr es ihr.
Annelie drehte sich um. Lautlos wie immer hatte sich Greta den Siedlern genähert. Elisa konnte sich nicht erinnern, sie in den letzten Jahren jemals laufen gesehen oder laut rufen gehört zu haben. Greta tauchte immer ganz plötzlich auf, als wäre sie aus dem Erdboden gewachsen.
So unauffällig, wie sie sich genähert hatte, mischte sie sich nun unter die Siedler. Sie grüßte keinen von ihnen, ging vielmehr zielstrebig auf Cornelius zu.
Elisa hörte, wie er ihren Namen sagte, und es gab ihr unwillkürlich einen Stich, als Gretas Gesicht aufleuchtete und Cornelius ihr fürsorglich etwas von seinem Teller anbot.
Elisa sah nicht, ob sie es auch annahm, weil die beiden ihr nun den Rücken zuwandten, aber sie knirschte unmerklich mit den Zähnen. Gewiss, sie konnte Cornelius diesen
Weitere Kostenlose Bücher