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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Rinnsal zu entgehen, das noch ranziger stank als das Meer. Seufzend blickte sie sich um. Auf den ersten Blick mochte die fremde Stadt noch faszinierend gewesen sein – hier nun wirkte alles trostlos und dreckig.
    »Wir kennen diesen Mann doch nicht!«, sagte er.
    »Wir kennen niemanden, Manuel, niemanden!«, rief sie. »Aber wir brauchen Hilfe! Wir können doch nicht allein … Wir sind doch noch nie allein …«
    Die Tränen, die sie sich vorhin noch verbissen hatten, kullerten über ihre Wangen.
    »Das wird schon«, tröstete er sie hilflos, »das wird schon, wenn wir erst mal …«
    »Wie soll denn was werden? Viel zu überstürzt sind wir aufgebrochen, viel zu unüberlegt!«
    »Ja, wärst du denn lieber zu Hause geblieben? Unmöglich war das doch! Dort hätten wir niemals …«
    Er kam nicht weiter. Emilia hatte die Gestalten nicht kommen sehen, nur einen dunklen Schatten, der plötzlich auf Manuel zusauste. Kurz dachte sie, es sei ein Vogel, der sich auf ihn stürzte, doch dann traf eine Faust seine Schläfe, und er sackte auf die Knie.
    »Manu…«
    Sein Name blieb ihr in der Kehle stecken. Noch ehe sie einen Schrei ausstoßen, gar um Hilfe rufen konnte, legte sich eine Hand um ihren Mund und brachte sie zum Schweigen. Ein anderer packte ihre Hände, dann ihre Füße. Sie versuchte, um sich zu schlagen, doch sie kam gegen den festen Griff nicht an.
    Im gleichen Augenblick, da man sie gewaltsam wegtrug, wurde ihr ein Sack über den Kopf gestülpt.

    Manuel lief bereits suchend durch die Straßen, ehe er wieder ganz bei Sinnen war und erfasst hatte, was geschehen war. So plötzlich war es schwarz um ihn geworden. Als er die Augen wieder aufgeschlagen hatte, war ihm sämiger Speichel über das Kinn gelaufen. Das Licht erschien ihm so grell wie vor dem Überfall, doch er war sich nicht sicher, ob nur wenige Augenblicke vergangen waren oder womöglich eine ganze Nacht und ein ganzer Tag. Sein Körper war steif, und er zitterte vor Kälte; vielleicht rührte das vom Schock, vielleicht aber auch davon, dass er stundenlang in der Gasse gelegen hatte. Das Frieren war das geringste Übel, denn von Emilia war weit und breit nichts zu sehen. Er rannte, rannte und rannte, obwohl sein Blick verschwommen war und ihm schwindelte. Er wusste nicht, welche Richtung er nehmen sollte, und lief dennoch weiter.
    Emilia! Wo war Emilia? Was hatte man mit ihr gemacht?
    Seine Gedanken waren viel lahmer als seine Beine; sie drehten sich im Kreis, ohne dass sie ihm verhießen, was er tun sollte. Offenbar lief er auch selbst im Kreis, denn nach einer Weile kehrte er in jene finstere, schmutzige Gasse zurück, in der er vorhin gelegen hatte. Nicht länger konnte er gegen den Schwindel ankämpfen. Er sackte auf die Knie, ließ den Kopf hängen und spürte, wie Tränen hochstiegen.
    »Ach, Emilia«, schluchzte er.
    Nie hatte er sich ähnlich hilflos und verloren gefühlt.
    Als er endlich den Kopf wieder hob, hätte er nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war. Es schien inzwischen zu dämmern. Plötzlich beugte sich jemand über ihn. Im festen Glauben, dass jeder Fremde es nur darauf anlegen würde, ihn zu bestehlen oder niederzuschlagen, schrie er laut auf und fuchtelte wild mit den Armen. Doch dann erkannte er einen Mann, der viel zu alt und gebückt war, um eine Gefahr darzustellen. Außerdem lächelte er ihn freundlich an.
    »¿Le puedo ayudar?«
    In seinem kopflosen Zustand klang ihm keine der spanischen Silben vertraut.
    Er antwortete unwillkürlich auf Deutsch; alles sprudelte förmlich aus ihm heraus: dass man ihn bestohlen hätte, gleich nach der Ankunft am Hafen, und dass ihnen ein Fremder gefolgt wäre, ihm und Emilia, und dass Emilia nun verschwunden sei, und er verletzt, und …
    Der alte Mann hörte ruhig zu. Er unterbrach ihn nicht, und in seinen Zügen breitete sich keinerlei Verständnis aus, doch als Manuel die Luft zum Reden ausging, gab er ihm das Zeichen, ihm zu folgen. Manuel war zu durcheinander, um sich ihm zu widersetzen oder um zu überlegen, ob er das Richtige tat.
    Sie gingen steil bergauf, und er musste sämtliche Kräfte, die er noch hatte, darauf verwenden, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne zu straucheln.
    Er hob den Blick erst, nachdem sie ein Haus erreicht hatten. Als er es mustern wollte, zerstob das Bild in viele kleine Sternchen. Er griff sich an den schmerzenden Kopf, fühlte nun Blut über den Nacken tropfen. Dann wurde es wieder schwarz um ihn.
    Als er wieder zu sich kam, lag er

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