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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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verächtlich Huinca nennen, sondern sie als Landsmännin willkommen heißen. Und dann, dann würde sie ihre Haare auch nicht mehr zu festen Zöpfen flechten müssen, sondern sie könnte weiche Locken eindrehen. Sie wusste zwar nicht, wie die Frauen in Deutschland ihre Haare trugen, aber sie war sich sicher, dass sie elegantere Frisuren hatten als hier.
    Sie flüchtete sich in solche Träume, um den Anstrengungen standzuhalten, und dann, nach endlosen Tagen und Wochen, hatten sie es geschafft.
    Valparaíso war, so viel stand fest, kein Paradies wie Deutschland. So schön die größeren Handelshäuser der reichen Unternehmer anzusehen waren, so hässlich waren die klein und schief gebauten aus Holz und Luftziegel, wo die ärmeren Leute lebten. Manuel hatte behauptet, dass man die Stadt »Perle des Pazifiks« nannte, doch Emilia fand es weniger berauschend als vielmehr anstrengend, sich durch die Gassen zu wühlen – entweder steil bergauf oder bergab, weil die Stadt auf insgesamt fünfundvierzig Hügeln errichtet worden war. Durch die meisten schoben sich Menschenmassen – reiche Bürger mit Zylinder und Frack ebenso wie Arme mit nackten Füßen und Lumpen. Edle Droschken und modern anmutende Kutschen fuhren direkt neben Maultiergespannen und Ochsenkarren.
    Manuel achtete weder auf die Häuser noch auf die Menschen, sondern deutete wild auf den Ozean. Mehrmals hatten sie ihn auf der Reise blau schimmern gesehen, waren ihm aber niemals so nahe gekommen wie jetzt.
    »Mein Gott, das Meer!«, schrie er ein ums andere Mal. »Hör nur, wie es rauscht! Als würden sich tausend Stimmen vereinigen!«
    Die weiße Gischt, in der die Sonne badete, war so grell, dass sie in den Augen weh tat. Vögel flogen kreischend über dem Wasser hinweg. Was Manuel begeisterte, erschreckte Emilia zutiefst. Angestrengt starrte sie auf den Horizont, aber in der Ferne verschmolz das blaue Meer mit dem nicht minder blauen Himmel. Kein fernes Hoffnungsland verhieß der Ozean, nur Fremde, Weite, Grenzenlosigkeit.
    Je länger sie auf das Meer schaute, desto verlorener fühlte sie sich, und sein Tosen, das Manuel so begeisterte, klang in ihren Ohren wie Hohngelächter. Sie dachte wehmütig an den Llanquihue-See, an schlechten Tagen gewiss manchmal abgründig grau, doch immer begrenzt von Land – vertrautem Land, auf dem vertraute Menschen lebten.
    Sie merkte kaum, wie sich die mitreisende Familie von ihnen verabschiedete und Manuel irgendwo das Pferd anband, wie er sie in das Gewirr der Gassen zog und sie schließlich bis zum Hafen gelangten. Der Ozean toste hier nicht mehr, sondern war von Mauern und Stegen bezähmt; die braune Brühe roch salzig und faulig, und Emilia musste unwillkürlich würgen.
    In welcher Form es sich auch zeigte – das Meer war für sie Feindesland, stand es doch zwischen ihr und Deutschland.
    »Und jetzt?«, fragte sie verzweifelt.
    »Wir könnten auch nach Amerika gehen und dort Goldgräber werden!«
    Das Stimmengewirr und die hektische Betriebsamkeit verstörten Manuel nicht, sondern ließen ihn aufblühen und in den nächsten Stunden die irrwitzigsten Pläne aushecken. Begeistert deutete er auf die etwa hundert Schiffe mit Flaggen aus aller Welt. Geradezu winzig wirkten dazwischen die Fischerkähne. Nicht weit von ihnen wurden gerade aus einem solchen Meeraale und Seebarsche entladen, und als der Geruch Emilia in die Nase stieg, musste sie abermals würgen. Rasch wandte sie sich ab und suchte Trost im Anblick der Berge mit den verschneiten Gipfeln, die im Landesinneren aufragten.
    Manuel wurde indes nicht müde, all die Länder aufzuzählen, aus denen die Schiffe kamen, und sich ein aufregendes Leben dort vorzustellen.
    Schließlich setzte sich Emilia kraftlos auf den Boden. Sie stellte ihre Ledertasche mit ihren wenigen Habseligkeiten ab. »Ich bin müde, ich will nirgendwo hin – und wenn, dann nur nach Deutschland.«
    Manuel kniete sich zu ihr. Sein durchdringender Schweißgeruch hüllte sie wie eine dicke Wolke ein.
    Wir stinken, dachte Emilia verdrießlich, aber noch mehr stinkt dieses Meer.
    »Lass doch das Schicksal über unsere Zukunft entscheiden!«, rief er begeistert.
    »Was meinst du?«
    »Pass auf! Wir werfen einfach eine Münze. Hier habe ich einen Centavo. Wenn er auf den Kopf fällt, gehen wir Richtung Norden, wenn er auf die Zahl fällt, nehmen wir ein Schiff Richtung Süden.«
    Emilia runzelte die Stirn. Lieber wäre sie noch hundert Tage geritten, als auf diesem bedrohlichen Wasser zu reisen.

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