Im Land der Feuerblume: Roman
in einem Bett. Der Stoff des Kissens fühlte sich hart an, war jedoch sauber. Verwirrt fuhr er hoch und konnte sich einen Augenblick lang nicht daran erinnern, wo er war und warum. Dann fiel ihm der freundliche Alte ein, doch dieser war verschwunden. Stattdessen standen drei andere Herren um sein Bett herum. Einer beugte sich über ihn und stellte fest, dass er das Bewusstsein wiedererlangt habe. Manuel brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass der Mann auf Deutsch gesprochen hatte. Gellend schrie er auf, als der Mann – offenbar ein Arzt – seinen Nacken befühlte.
»Die Wunde muss gereinigt werden«, erklärte er.
Der Mann, der in der Nähe des Fensters stand, hob die Hand und gab ihm ein Zeichen, zu gehen. »Das hat noch eine Weile Zeit.«
Schließlich trat der Arzt zurück und verließ gemeinsam mit einem zweiten Mann den Raum, nur der dritte blieb beim Fenster stehen. Manuel sah sein Gesicht nicht, lediglich die schwarzen Umrisse seiner Gestalt.
»Wo … wo bin ich?«
»In der deutschen Gemeinschaft.«
Manuel musterte den Raum eingehender. Er war schmucklos und kahl, aber aus soliden Wänden gebaut.
Die deutsche Gemeinschaft in Valparaíso.
Fieberhaft versuchte er, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was er von der Stadt wusste. Seine Großmutter Christine hatte einmal erzählt, dass einer ihrer Söhne dort lebte – so wie viele andere deutsche Protestanten. Diese hätten zunächst den Gottesdienst der nordamerikanischen Gemeinde besucht, um dann aber ihre eigene zu gründen. Christine war darüber sehr erfreut gewesen, wohingegen Manuel nicht verstehen konnte, warum ihr das dermaßen wichtig war. Jetzt war ihm immer noch gleich, ob die Deutschen in Valparaíso gemeinsam beteten oder nicht und in welcher Sprache sie das taten. Nur, dass er hier in Sicherheit war, zählte – und dafür war er unendlich dankbar.
»Emilia …«, presste er hervor.
Er wollte aus dem Bett springen, doch der Mann trat vom Fenster weg und hielt ihn zurück. »Es scheint gerade noch einmal gut gegangen zu sein. Du bist nicht ernsthaft verletzt.«
»Aber Emilia … Emilia ist verschwunden!«
»Wer ist Emilia?«
»Emilia Suckow. Sie ist meine Verlobte.«
Jetzt konnte er erstmals das Gesicht des Mannes erkennen, doch als Tränen in seine Augen traten, verschwamm das Bild. Er schämte sich seiner Schwäche. Wie erbärmlich es war, wie ein Mädchen zu heulen!
Der Mann sah darüber hinweg.
»Wie heißt du, Junge?«
»Manuel … Immanuel Steiner.«
Er schloss die Augen, und plötzlich fühlte er, wie eine Hand zärtlich über sein Gesicht strich. Mein Gott, Emilia!, fuhr es ihm durch den Kopf. Nicht auszudenken, was mit ihr geschehen war! Er musste sie suchen, sie finden! Wie hatte er nur zulassen können, dass man sie auf offener Straße entführte!
Wieder stammelte er ihren Namen.
»Ich heiße auch Steiner«, sagte indes der Fremde. »Ich glaube, ich bin dein Onkel.«
Emilia hatte sich gewehrt, bis sämtliche Kräfte geschwunden waren. Schon als man sie forttrug, hatte sie wild um sich geschlagen – zunächst ein hoffnungsloses Unterfangen. Der einzige Erfolg, den sie nach einer Weile erzielte, war, dass der Mann, der sie trug, sie wie einen Sack Kartoffeln fallen ließ. Sämtliche Glieder hatten geschmerzt, dennoch hatte sie sich schnell wieder aufgerappelt, um davonzustürzen. Weit war sie nicht gekommen, da griffen wieder unbarmherzige Hände nach ihr. Blind trat sie um sich, traf irgendein Schienbein – zumindest verhieß das ein wütender Schmerzenslaut –, doch ihr Triumph währte nicht lange. Prompt erhielt sie durch den Sack hindurch, den man ihr übergestülpt hatte, eine Ohrfeige, die sie zu Boden gehen ließ. Ihr Kopf dröhnte; warmes Blut floss über ihr Kinn. Ihr ganzes Gesicht tat so weh, dass sie nicht wusste, woher es kam – von einer aufgerissenen Lippe oder von der Nase.
»¡Puta!«, schrie der Mann.
Sie wusste nicht, was das Wort bedeutete, nur dass sämtliche Verachtung und Wut darin mitschwangen. Wieder war sie hochgezerrt worden, schließlich in ein Haus geraten, und dann war es über eine Treppe hochgegangen. Sie strampelte, bis sie keinen Atem mehr fand, wurde schließlich auf ein Bett geworfen, und ihre Hände wurden an einem Pfosten festgebunden. Jemand zog ihr den Sack vom Kopf. Sie sah an seinen geöffneten Lippen, dass der Mann, der sich über sie beugte, sie weiterhin wütend als Puta beschimpfte, doch sie hörte nicht ihn, sondern nur ein Rauschen. In ihrem Mund
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