Im Land der Feuerblume: Roman
Allerdings – auch der Weg nach Deutschland führte über das Meer.
Ob das Geld, das Manuel sich mit seinen Baumrinden verdient hatte, wohl für eine Schiffspassage nach Hamburg reichte? Emilia hatte keine Ahnung, wie viel dergleichen kostete, aber der Gedanke daran weckte wieder ihre Lebensgeister.
Sie erhob sich und sah zu, wie er die Münze warf. So hoch schleuderte er sie in die Luft, dass sie sich mehrmals um die eigene Achse drehte, ehe sie mit Klirren auf dem Boden landete. Nun doch neugierig geworden, stürzte Emilia auf sie zu, und beinahe stießen ihre Köpfe zusammen. Die Münze war allerdings nicht einfach liegen geblieben, sondern zwischen zwei Pflastersteinen stecken geblieben. Weder Kopf noch Zahl waren zu sehen.
»Na großartig!«, schimpfte Emilia.
Manuel wollte sie aufheben, doch sosehr er auch daran zog, der Centavo steckte fest.
»Na großartig!«, schimpfte Emilia erneut.
Während er sich weiter abmühte, blieb sie stehen und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
War es ein böses Omen, dass das Schicksal nicht über ihre Zukunft entscheiden wollte?
Im nächsten Augenblick fand sie allerdings keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Sie stieß einen entsetzten Schrei aus. Als er vorhin die Münze geworfen hatte, hatte Manuel sein Bündel neben dem ihren auf den Boden sinken lassen. Dort lag es nun unbewacht – und hatte prompt zwei Männer angelockt. Als Emilia sie erblickte, hatten sie es bereits durchwühlt und Manuels Geldbeutel hervorgezogen.
»Halt!«, kreischte Emilia.
Die Männer pressten beide Beutel an sich, stoben davon und waren im Treiben verschwunden, ehe Manuel sich auch nur aufgerichtet hatte, um ihnen hinterherzujagen.
Emilia schrie nochmals auf, als Manuel in der Menge verschwand und sie nichts mehr von ihm sah. Doch noch größer als die Angst, ihn zu verlieren, war die Furcht, dass er die Männer einholte und versuchen würde, ihnen das Diebesgut abzunehmen. Immerhin waren es zwei, und sie sahen kräftig aus – allein würde er unmöglich gegen sie ankommen.
Sie stürmte ihm nach, rief seinen Namen und lief fast in einen Mann hinein. »¡Hola, monada!« Sie hörte noch, dass er anerkennend mit den Lippen schnalzte, beachtete ihn jedoch nicht weiter.
»Manuel, komm zurück!«
Endlich leuchtete in der Ferne sein rötlich-braunes Haar auf.
»Wirklich, ein schönes Mädchen!«, diesmal sprach der Mann, in den sie fast gerannt war und der ihr gefolgt war, auf Deutsch mit ihr, aber sie drehte sich nicht nach ihm um – zu groß war die Erleichterung, dass Manuel nun stehen blieb und mit hängenden Schultern zurückkam. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, und als er sie erreicht hatte, stampfte er auf.
»Verflucht!«
Sie stürzte auf ihn zu und umarmte ihn, aber er machte sich unwirsch von ihr los. »Gestohlen! Sie haben uns einfach alles gestohlen! Was machen wir denn jetzt?«
»Kann ich euch beiden vielleicht helfen?«
Der Fremde war zu ihnen getreten, und erstmals musterte Emilia ihn genauer. Er war klein und gedrungen, und obwohl sein Mund lächelte, wirkten die Augen kalt und höhnisch. Seine Kleidung war sauber, schien jedoch aus verschiedenen Teilen zusammengestückelt, die nicht zusammenpassten. Er machte eine dienernde Verbeugung, die Emilia nicht ganz ehrlich erschien.
Doch in ihrer Notsituation war ihr das gleich. »Wir sind eben erst in Valparaíso angekommen!«, brach es aus ihr hervor. »Wir kennen hier keine Menschenseele, und wir können auch kein Spanisch. Und nun hat man uns alles gestohlen … unsere Kleider … unseren Proviant … unser … Manuel, was ist mit dem Geld? Hast du noch …?«
Er packte sie grimmig am Arm. »Das geht diesen Señor nichts an!«, erklärte er scharf.
Emilia war den Tränen nahe. Noch nie hatte er sie so unsanft behandelt.
»Aber, aber …«, schaltete sich der Fremde wieder ein, und seine Stimme erschien Emilia viel freundlicher als die von Manuel. »Ich könnte euch …«
»Wir brauchen Ihre Hilfe nicht!«, unterbrach Manuel ihn scharf.
Dann packte er Emilia noch fester am Arm und zog sie mit sich. Sie folgte ihm nur widerstrebend und sah sich mehrmals nach dem Fremden um, doch kaum waren sie mit der Menschenmenge verschmolzen, war nichts mehr von ihm zu sehen.
»Manuel, dieser Mann wollte uns …«
Er antwortete erst, als sie eine etwas ruhigere Gasse erreicht hatten. Hier waren kaum Menschen unterwegs, der Boden fühlte sich klebrig an. Emilia sprang zur Seite, um einem zähflüssigen
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