Im Land der Feuerblume: Roman
fühlte sich darin eingesperrt, immer beengter, immer luftleerer, immer unglücklicher. Einzig das Land in seiner wilden Schönheit konnte sie vor trüben Gedanken bewahren. Je weiter sie in den Norden kamen, desto drückender wurde die Hitze. Die Wälder standen nicht ganz so satt und dicht wie im Seengebiet, doch fruchtbar war das Gebiet auch hier: Sie passierten mit Obstbäumen bepflanzte Täler, sanfte, von Weinbergen bedeckte Hügel, sich golden im Wind wiegende Felder mit Weizen und Mais. Die Küsten waren schroff, die Kordilleren in der Ferne spitz und weiß.
»Geht es?«, fragte Cornelius eines Tages unvermittelt, als sie sich zum wiederholten Male den Schweiß von der Stirn wischte. Sie blickte hoch, verwirrt, dass er so unerwartet den Bannkreis, der zwischen ihnen lag, überschritt, und irgendwie gerührt, dass ihre erste Regung nicht war, sich stolz und zornig jegliche Anteilnahme zu verbitten, sondern Erleichterung. Erleichterung, dass er sich um ihr Wohl sorgte. Und Erleichterung, dass sie sich darüber noch freuen konnte.
Zeigen wollte sie ihm dies allerdings nicht. Rasch senkte sie den Kopf.
»Natürlich geht es«, erklärte sie knapp, und bevor er noch einmal nachfragen konnte, wechselte sie das Thema. »Wenn wir in Valparaíso ankommen – wohin sollen wir uns dann wenden?«
Sie fühlte weiterhin seinen prüfenden Blick, aber sie verbat es sich, ihn zu erwidern.
»An Fritz natürlich!«, rief er entschieden.
»An Fritz?«, entfuhr es ihr, und diesmal konnte sie nicht verhindern, ihn entgeistert anzusehen. »Du hast Kontakt zu Fritz? Zu Fritz Steiner? Warum hast du mir das nie erzählt?«
Er seufzte. »Wann haben wir das letzte Mal miteinander geredet?«
Vor Jahren, ging es ihr durch den Kopf, und diese Einsicht gab ihr einen schmerzlichen Stich. Jahre ist es her … so viele Jahre … so sinnlose, leere Jahre …
Wieder verkniff sie es sich, ihren Gefühlen nachzugeben.
»Aber Christine«, fuhr sie ihn an, »Christine hätte ein Recht darauf gehabt, es zu wissen …«
»Wie kommst du nur darauf, sie wüsste nicht, dass Fritz und ich einander schreiben? Ich habe ihr sämtliche Briefe zu lesen gegeben. Und natürlich hat er auch ihr geschrieben!«
»Aber sie hat nie darüber gesprochen!«, entfuhr es ihr, um sich gleich darauf zu berichtigen: »Nicht mit mir zumindest.«
Erneut fühlte sie einen schmerzhaften Stich, weil sie das Gefühl hatte, ausgeschlossen worden zu sein. Oder, was nicht minder bitter war, sich ausgesperrt zu haben.
»Nicht mit mir«, wiederholte sie, und diesmal klang es trotzig.
»Weil du sie wahrscheinlich nie danach gefragt hast. Vielleicht solltest du den Menschen mehr Fragen stellen, anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen«, entgegnete Cornelius, und seine Stimme klang ungewohnt scharf.
Sie wollte nicht nach den Gründen seines Ärgers bohren. Vermeintlich gleichmütig fragte sie, was aus Fritz geworden sei und wie er in Valparaíso lebe, und nach einem kurzen Zögern begann er, ihr ebenso gleichmütig zu antworten.
Elisa konnte sich vage daran erinnern, dass Fritz einst ihre Siedlung verlassen hatte, um in Carlos Anwandters Apotheke in Valdivia zu arbeiten. Nun erfuhr sie, dass diese Apotheke bald in regen Geschäftskontakten mit einigen deutschen Apotheken in Valparaíso stand, unter anderem der Farmacia Petersen, die 1846 – noch als Farmacia Inglesa – von einem französischen Arzt und einem italienischen Ingenieur gegründet und schließlich von dem Deutschen Aquinas Ried übernommen worden war. Fritz hatte auf einer Reise nach Valparaíso diesen Mann kennengelernt, sich mit ihm noch besser verstanden als mit Carlos Anwandter – Aquinas Ried war um einiges experimentierfreudiger, führte unter anderem Digitalis als Therapeutikum ein –, und schließlich war er bei ihm geblieben, zunächst als eine Art Lehrling, später als Gesellschafter.
»Die Briefe, die er damals schrieb, waren die glücklichsten«, erzählte Cornelius, »aber leider währte dieses Leben nicht lange. 1866 hat Rieds Apotheke eine Sprengladung der Spanier abbekommen, du weißt, im kurzen Spanisch-Südamerikanischen Krieg, der 1865 ausgebrochen ist.«
Elisa nickte, obwohl sie, genau genommen, keine Ahnung davon hatte. »Und dann? Was ist dann passiert?«
»Die Apotheke ist abgebrannt. Aquinas Ried hat eine neue gegründet, aber wenig später ist er gestorben. Fritz hat sie übernommen, doch da er kein Arzt wie Ried ist, war er nicht so ganz erfolgreich.«
»Kann er denn
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