Im Land der Feuerblume: Roman
geschwebt waren, zogen nun, einige Stunden nachdem das Feuer ausgebrochen war, langsam höher und verflüchtigten sich etwas. Der beißende Geruch lag zwar immer noch quälend in der Luft, aber Elisa konnte endlich mehr von der Umgebung sehen als nur ihre eigenen Hände. Erst jetzt nahm sie die Stille wahr, die sich über sie alle gesenkt hatte.
Erschöpft ließ sie sich zu Boden fallen. Nach dem Lärm war die Stille fast unerträglich – nach dem Schreien, dem Knirschen, dem Gerenne, dem Heulen, schließlich dem Prasseln der Flammen, dem bedrohlichsten Geräusch.
Dieses war endgültig verstummt, doch Stimmen, wenn auch nicht mehr so aufgeregte und panische wie vorhin, waren nach einer Weile des Schweigens weiterhin zu hören. Eine Schar Männer legte eben am Ufer an. Sie stellten sich als Mitglieder jenes Feuerwehrsvereins vor, den Carlos Anwandter schon vor fast dreißig Jahren gegründet hatte. Beim großen Brand von Valdivia im Jahr 1859 hatten sie wichtige Dienste geleistet – hier nun kamen sie zu spät.
»Das Feuer ist gelöscht!«, rief irgendjemand ihnen zu. »Hat zwar manch Schaden angerichtet, aber das Schlimmste konnten wir verhindern.«
Elisa legte den Kopf ins Gras und blickte gen Himmel. Die Kehle schmerzte; sie wusste nicht, ob das vom Rauch kam oder von Gretas unbarmherzigem Griff. Bilder stiegen vor ihr auf – kurz und grell wie Blitze: vom Feuer, wie es den Wald erfasst hatte. Von sich selbst, wie sie den letzten Schwindel abschüttelte und zu ihrem Haus rannte. Von ihren drei Söhnen, die eimerweise Wasser schleppten, um entweder das Feuer im Wald einzudämmen oder die Häuser nass zu spritzen, damit die Funken nicht auf sie überspringen konnten.
Zunächst hatte alles danach ausgesehen, dass sie den Kampf gegen die Flammen verlieren würden. Der Ostwind hatte die Funken sehr weit getragen und sie schließlich aufs Dach der Schule herabregnen lassen. Annelie, Jule und Christine kämpften erbittert um das Haus. Schließlich war ein Teil des Dachgebälks eingestürzt, aber das restliche Gebäude blieb verschont. Ob Jule bei dem Gestank allerdings bald wieder darin leben oder gar Kinder unterrichten konnte, war ungewiss.
Elisa schloss die Augen. Ihre Handflächen brannten. Sie hatte so viele Eimer geschleppt, dass sich Blasen gebildet hatten. Irgendwann war sie mit einem Eimer direkt in Poldi hineingelaufen, der reglos am Ufer des Sees gestanden hatte.
»Was stehst du hier herum?«, fuhr sie ihn an. »Warum hilfst du nicht?«
Erst jetzt ging ihr auf, wie ungerecht es gewesen war, ihn derart anzufahren, da er sie aus den Flammen gerettet hatte. Und erst jetzt wusste sie auch, warum er dermaßen schreckerstarrt dort gestanden hatte. Das Haus der Glöckners war als eines der wenigen abgebrannt, und er hatte dabei hilflos zusehen müssen.
Schließlich hatte er sich aus der Starre gelöst – nicht weil Elisa auf ihn einschrie, sondern die heulenden Töchter. Elisa hätte die drei Mädchen und Jacobo am liebsten verfluchen wollen, weil sie nicht beim Löschen halfen, sondern wie aufgescheuchtes Federvieh durch die Gegend liefen. Doch als Poldi Frida am Arm packte, erklärte sich, was sie derart aus der Fassung brachte.
»Mutter!«, schrie Frida. »Mutter wollte in den Hühnerstall gehen … die Hühner retten …«
Poldi rannte los, und Elisa folgte ihm. Die Flammen hatten bereits eine breite Schneise in den Wald geschlagen, aber der Wind ließ endlich nach. Nicht nur die Schule war gerettet, sondern auch das Haus der von Grabergs und der Steiners. Das Haus der Glöckners aber brannte weiterhin lichterloh – und knapp dahinter der Hühnerstall.
»Resa!«, brüllte Poldi.
Der Hühnerstall war niedrig, jedoch langgezogen.
»Resa!«, schrie Poldi wieder.
In diesem Augenblick brach das Dach ein. Wie rote Blitze umtanzte das Feuer das schwarze Holz. Als Poldi darauf zustürzen wollte, hielt Elisa ihn fest. »Es ist zu spät!«, schrie sie. »Du kannst nichts mehr für sie tun!«
Er wehrte sich gegen ihren Griff, und eine Weile rangen sie miteinander. Obwohl eigentlich der Stärkere, lähmte die Furcht um seine Frau Poldi so sehr, dass Elisa ihn im Zaum halten konnten. Und als ihre Kräfte zu schwinden drohten, da ließ plötzlich sein Widerstand nach – nicht, weil er eingesehen hatte, dass es zu gefährlich war, dem Hühnerstall zu nahe zu kommen, sondern weil Resa neben ihnen auftauchte. Ihre Haare waren etwas versengt, aber ansonsten war sie wohlauf. In den Händen hielt sie
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