Im Land der Feuerblume: Roman
komm zu dir! Werde endlich vernünftig und lass deine Tochter gehen!«
Greta fühlte, wie ihre Kehle eng wurde. Aber sie durfte nicht weinen, nicht vor Elisa. »Und dann?«, schrie sie. »Dann sind alle glücklich? Dann ist die Welt wieder heil? Aber die Welt ist nicht heil! Die Welt wird niemals heil sein!«
»Greta …«
»Halt dein Maul! Halt endlich dein Maul!«
Das Prasseln des Feuers wurde immer lauter. Dichter Rauch stieg hoch, denn sie hatte den Ofen nicht geschlossen. Greta vermeinte zu ersticken, doch noch ehe ihre Kräfte schwanden, stürzte sie auf Elisa zu.
»Greta …«, sagte diese leise.
»Halt dein Maul!«
Mit beiden Händen umklammerte sie Elisas Hals. Bis auf Emilia war sie seit langem keinem Menschen mehr so nahe gekommen. Vor allem Cornelius nicht. Oh, wie hatte sie sich danach gesehnt, dass er sie streicheln und sie halten würde, doch er war ihr immer ausgewichen. Er mied sie. Er mied sie, weil er in Wahrheit Elisa liebte, diese verdammte Hure, diese Hexe!
Greta lachte, als sie mit beiden Händen zudrückte. Ihr Angriff war für Elisa unerwartet gekommen; zunächst schien sie ihn nicht ernst zu nehmen, sondern ließ ihn wehrlos über sich ergehen. Dann aber, als ihr die Luft knapp wurde, versuchte sie, Gretas Hände von ihrem Hals zu reißen. Es gelang ihr nicht. Mochte ihr Kopf auch so schmerzhaft dröhnen, als würde er gleich zerplatzen – Gretas Griff war unerbittlich.
Wieder lachte Greta. Das war das Gute daran, dass ein jeder sie für ein kleines, dummes Kind hielt: Man unterschätzte sie, glaubte sich vor ihr sicher.
»Greta …«
Elisa brachte keinen Ton mehr heraus, konnte nur die Silben ihres Namens formen. Die Augen quollen ihr aus dem Gesicht. Mit den Beinen trat sie um sich, um Greta zu treffen. Doch die war auf der Hut.
»Halt dein Maul!«, kreischte sie wieder, immer wieder. »Du wirst mir Cornelius nicht wegnehmen! Und Emilia auch nicht! Die beiden gehören mir! Die beiden sind doch das Einzige, was mir geblieben ist!«
Der Rauch verdunkelte das Bild vor ihr, doch dass Elisa irgendwann leblos wie ein Mehlsack an ihr hing, fühlte sie auch, ohne etwas sehen zu können.
Sie ließ sie los, Elisa brach zusammen.
Ja, dachte Greta zufrieden, jetzt hält sie endlich ihr Maul.
Jetzt würde sie ihr Cornelius nicht mehr wegnehmen.
Sie wusste nicht, wie lange sie vor der ohnmächtigen Elisa stand und auf sie herabstarrte. »Die Welt wird niemals heil«, murmelte sie immer wieder. »Die Welt wird niemals heil.«
»Mutter? Was ist los? Was ist geschehen?«
Erst jetzt hörte sie Emilias Rufe. So panisch wie ihre Stimme klang, schrie sie womöglich schon die ganze Zeit.
Greta rührte sich nicht.
»Die Welt wird niemals heil«, murmelte sie.
Doch einmal, fiel ihr ein, einmal war sie heil gewesen … damals, als Cornelius sie gefunden hatte, sie und den blutenden, ohnmächtigen Viktor, als er sie getröstet und Viktor getragen hatte, als er ihr die Hoffnung schenkte, es gäbe einen, der für sie da wäre und ihr helfen würde.
Nun, als wenig später das Schiff brannte, hatte er ihr nicht geholfen. Der Vater hatte Viktor und sie nach oben gezerrt, während die Mutter elendiglich verbrannte.
Gretas Gesicht verzerrte sich.
Flammen … überall waren Flammen gewesen …
Hitze stieg ihr ins Gesicht, sie hustete gegen den dichten Rauch an. Ja, überall waren Flammen gewesen … aber zu wenige … viel zu wenige … Sie reichten nicht, um alles niederzubrennen, alles auszumerzen.
Da nahm sie ein weiteres Holzscheit, hielt es in die Flammen, und kaum brannte es, warf sie es zu Boden.
Eine Weile fürchtete sie, das Flämmchen würde kraftlos verglühen, doch stattdessen wuchsen sie, wuchsen zu einem knisternden Meer an, das sich auf dem Boden ausbreitete und schließlich die Wände hochkletterte.
»Du musst mich retten, Cornelius«, flüsterte Greta grinsend. »Du musst mich retten.«
Elisa lag reglos am Boden.
Gut so, dachte Greta.
Emilia hämmerte an die Tür. »Was ist los, Mutter? Was ist dort unten los?«
»Es wird alles gut!«, murmelte Greta, und die flackernden Flammen spiegelten sich in ihrem kalten Blick. »Cornelius wird uns retten. Es wird alles gut …«
Poldi lief ziellos durch den Wald. Manchmal blieb er stehen und scharrte nachdenklich in der Erde, als gäbe es dort etwas auszugraben, was ihn ablenken würde. Er wusste, dass auch die Arbeit das zustande bringen könnte, doch zu arbeiten hätte bedeutet, mit anderen Menschen zusammenzutreffen.
Weitere Kostenlose Bücher