Im Land der Feuerblume: Roman
ich bin hier!«
Inmitten der dunklen Rauchschwaden sah Poldi etwas Weißes. Emilia hatte sich aus dem Fenster des oberen Stockwerks gebeugt und winkte ihnen verzweifelt zu.
»Sie hat mich eingesperrt! Ich kann nicht springen! Nicht ohne deine Hilfe!«
Manuel stürmte auf das Haus zu.
»Du musst springen! Du hast es doch schon einmal geschafft! Ich fange dich auf!«
Poldi achtete nicht länger auf die beiden, vertraute darauf, dass Manuel das Richtige tun würde, und lief zur Haustür. Energisch rüttelte er an dem Griff, um sie zu öffnen, doch der ließ sich nicht bewegen. Entweder hatte Greta das Haus versperrt oder die Tür klemmte.
Er stürzte zu einem der Fenster, lugte hindurch.
»Elisa!«, schrie er.
Zuerst sah er nichts, denn einer der Vorhänge hatte Feuer gefangen. Doch als er abriss und zu Boden fiel, erkannte er zwei Gestalten reglos und dicht nebeneinander am Boden liegen.
Elisa und Greta.
Waren sie tot?
Poldi riss sich sein Hemd vom Leib und hielt es sich vor die Nase. Ein zweites Mal stürmte er zur Tür, um diesmal wieder und wieder mit den Füßen dagegenzutreten. Zunächst war der Widerstand des Holzes zu stark. Dann endlich knarrte und krachte es, und die Tür flog auf. Funken stoben ihm entgegen. Er glaubte, vor Hitze fast ohnmächtig zu werden, und seine Augen tränten so stark, dass er nichts sah. Wieder wollte er Elisas Namen rufen, doch ihm fehlte die Luft dazu, Rauch verätzte seine Kehle.
Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Er vermied, hoch zur Decke zu sehen, wo die Balken bereits lichterloh brannten. Nicht mehr lange, dann würden einer nach dem anderen durchbrechen und alle begraben, die nicht rechtzeitig fliehen konnte.
Hoffentlich war Emilia schon in Sicherheit …
Blind tastete er sich weiter vor, bis sein Fuß gegen ein Hindernis stieß. Er beugte sich hinab.
Elisa …
Ihre Haare waren etwas versengt, und um ihren Hals nahm er rote Male wahr, doch ihm war, als würde sich ihre Brust sachte heben und senken. Er bemühte sich, sie über seine Schultern zu heben, aber es gelang ihm nicht. Stattdessen entglitt ihm das Hemd, das er sich schützend vors Gesicht gehalten hatte, und noch mehr ätzender Rauch stieg in seine Kehle. Er wusste, dass er nicht mehr viele Atemzüge machen durfte, ehe er das Bewusstsein verlor – und er wusste auch, dass er zu geschwächt war, um Elisa zu tragen. Mit letzter Kraft packte er sie darum unter den Achseln und zog sie hinaus.
Bei jedem Schritt wurde es heißer, und das Feuer prasselte immer lauter. Mit übermenschlicher Anstrengung erreichte er endlich die Türschwelle, stolperte darüber und zog Elisa hinterher. Dann konnte er nicht mehr und sackte auf die Knie.
Schatten tauchten neben ihm auf, und er glaubte schon, dass die Wände zusammenbrechen würden. Doch es waren Manuel und Emilia, die ihn und Elisa rasch vom brennenden Haus wegzerrten – keinen Augenblick zu früh, denn im nächsten Moment stürzten mit lautem Krachen die Dachbalken in sich zusammen.
Poldi hustete sich die Seele aus dem Leib und barg seinen Kopf im hohen Gras, um sich vor Splitter, Asche und Rauch zu schützen. Als er sich endlich wieder aufrichten konnte, sah er, dass Manuel sich über Elisa beugte, zuerst an ihr rüttelte, dann sachte auf ihr Gesicht schlug.
»Mutter!«, rief er. »Mutter!«
Weinend und zitternd stand Emilia neben ihm.
»Mutter, nun sag doch etwas …«
Da endlich ging ein Ruck durch Elisas Gestalt. Ein röchelnder Ton ertönte. Mühsam kämpfte sie sich hoch.
»Manuel … was … was …«
Poldi wollte zu ihr eilen, doch Emilia stellte sich ihm in den Weg. »Und was ist mit meiner Mutter?«, fragte sie heiser.
Poldi schüttelte düster den Kopf. »Es tut mir leid«, jedes Wort tat ihm in der Kehle weh. »Es tut mir so leid. Ich konnte sie nicht retten.«
Die Tränen zogen Schlieren in Emilias Gesicht, doch sie verbiss sich weitere und presste ihre Lippen aufeinander. Ihre Miene wurde starr.
Elisa war mit Manuels Hilfe aufgestanden. »Was ist passiert?«, fragte sie ein ums andere Mal. »Was ist denn nur passiert?«
Sie drehte sich um und stieß einen entsetzten Schrei aus, als sie sah, was sie nun alle sahen: Das Feuer hatte den Schuppen neben Gretas Haus erreicht und war von dort auf einige Bäume übergesprungen. Munter fraß es sich durchs trockene Gehölz. Wenn sie es nicht eindämmten, würde bald das ganze Seeufer in Flammen stehen.
44. KAPITEL
D ie Rauchschwaden, die eben noch dicht über dem Boden
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