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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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einpacken und – schon wissend, dass er verloren hat – um einen Anruf bitten, sobald die Entscheidung gefallen ist. Nicht das As. »Gut«, sagt der Champion, »fragen Sie den Herrn. Wir werden mit ehrfürchtigem Schweigen danebensitzen und warten.«
    Und das gottesfürchtige Paar faltet die Hände, ruft nach dem Herrn, wird lauter und stürmischer, geht in die Knie, spricht in Zungen, wälzt sich zuletzt, verzückt und wie von Sinnen, auf dem gelbbraunen Teppichboden. Und in diesem Augenblick beweist der Champion, dass er ein wahres Genie ist, springt auf das Sofa, reißt beide Arme hoch, zeigt in den Himmel und schreit: » Did you hear HIM? HE talked to you and HE told you YES! Three times YES! « Und der von der Zwiesprache mit dem Herrn leicht mitgenommene Hausherr haucht zaghaft: » Yes, the Lord said yes .« Und holt die 400 Dollar, Anfang der sechziger Jahre eine Menge Bares, rückt sie heraus, unterschreibt und begleitet die beiden dankbar hinaus. Und kaum ist die Tür zu, wetzt das strahlende Genie das Treppenhaus hinunter, mitten hinein in die nächste Bar. Der Champ war ein Säufer. Und der unbeugsame Wille, so schnell wie möglich an Geld heranzukommen, um dasselbe ebenso zügig in Alkohol umzusetzen, machte ihn unschlagbar.
    Tage danach geht es Samuel schlecht, er wird krank, zuletzt todkrank. Bewegungslos und ohne Stimme liegt er im Bett. Er beschließt, dass er das Leben eines Vertreters satt hat. Und dass er Dichter werden will. Diese beiden Gedanken machen ihn gesund. Er verkauft den Plunder seines bisherigen Lebens, zieht in einen Bus, zieht damit in den nahen Wald und fängt an zu schreiben. Als ihm das Ersparte ausgeht, überwindet er die nächste Angst und lässt seine Arbeiten drucken. Mit einer Kiste voller Liebesgedichte verlässt er den Wald und fährt mit seinem Wohnmobil von einem Popkonzert zum nächsten. Dort erlebt er zum ersten Mal das sagenhafte Gefühl, dass jemand Geld investiert, um seine Gedanken zu lesen.
    Seit ein paar Monaten lebt der Dichter nun im Wald vor Boulder. Tagsüber kommt der Bär in die Fußgängerzone und schaut allen in die Augen. Und zitiert jedem, der es mag, seine fernen Amouren ins Ohr: » You’ll fly with my wings and sing the Song of innocent lips  …« Schon klar, mit solchen Zeilen wird Samuel Beast nie in der Bestsellerliste der New York Times Book Review auftauchen. Zu Recht. Aber er gehört zu denen, die davonkamen. Aus der Tretmühle eines fertigen Lebens. Ein yes-man weniger im Jahrhundert der Erfindung der Vollkasko-Versicherung. Wie beflügelnd.

LAS VEGAS
    Zurück nach Denver. Als ich in den Greyhound Richtung Westen umsteige, erfahre ich, dass es sich um einen kneeling bus handelt. Das ist ein Bus, der sich vorn absenkt. Damit sich die Dicken beim Erreichen des ersten Trittbretts nicht so anstrengen müssen. Damit sie ausgeruht ihren Sitzplatz erreichen.
    Boulder liegt bald weit hinter mir. Die neuen Köpfe sehen anders aus als die, von denen ich mich vor zwei Stunden verabschiedet habe. Schön dumpf und leer. Und darüber der dröhnende Walkman. Man könnte glauben, vertonte Scheiße schwappte in ihre Ohren. Schon eindrucksvoll, womit das menschliche Hirn alles heimgesucht wird.
    Nach acht Stunden Aufenthalt in direkter Nähe meiner Trümmermusik-Freunde widerfährt mir ein seltsames Phänomen: Durch das Fenster sehe ich eine riesige Hinweistafel. » EAT « steht da. Und das bunte Foto eines vier Quadratmeter großen Steaks hängt daneben. Ich muss wohl so ausgehungert sein nach etwas wie Gedanken und Gefühlen, dass ich zuerst » READ « lese und mich zugleich wundere, was der Aufruf zur Lektüre mit einem 3000 Kalorien schweren Fleischstück zu tun hat. Fazit: Es gibt ganz offensichtlich Fata Morganas für diejenigen, die nicht an Hunger und Durst leiden, aber nach anderen Zuständen hungern und dürsten.
    Pausenstopp in Grand Junction. Wieder ein Härtetest für Labile. Am beschütztesten scheint man noch in der Cafeteria des Terminals. Wer sich rauswagt, läuft Gefahr, sich aus Verdruss vor die durchdonnernden Trucks zu werfen. Ich bin widerspenstig genug und traue mich in einen nahen Park. So könnte der Hinterhof eines Zuchthauses aussehen, auf dem Schwerverbrecher einmal täglich Auslauf haben. So deprimiert liegt das Gras neben der Interstate 70. Mit dem Unterschied, dass ein paar Bänke herumstehen, auf deren Rückenlehnen Werbesprüche geklebt sind. Einer davon ist ausgesprochen intelligent, ein Reisebüro bietet unter dem Motto »

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