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Im Land der Freien

Im Land der Freien

Titel: Im Land der Freien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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blätternd, Titel: » Elvis Presley for American Libraries «. Einen Meter weiter steht: »…  happy not yet to be a corpse «, froh, noch keine Leiche zu sein. Auch der Satz stammt von Ginsberg. Alles an dieser Bücherei verströmt diese so verwirrenden, so beruhigenden Widersprüche des Dichters und des Naropa Institute : Gefühle veröffentlichen, Witz beweisen (Elvis als Bücherfreund!), den jagenden Hunger nach aller(vor)letzten Weisheiten und die urweltliche Liebe zum Leben.
    Wer sich hier hinsetzt, wird abtauchen, wird überwältigt von dem Bedürfnis nach Stille und Gedanken. Wieder stoße ich – reiner Zufall – auf Paul Celan. Ich lese einen Aufsatz seines Übersetzers Michael Hamburger, der von der namenlosen Mühsal berichtet, einen Sprachtitanen wie Celan ins Englische zu übertragen: dass Hamburger bisweilen zwanzig Jahre (240 Monate!) lang mit einer – auf den ersten und auf den tausendsten Blick – unübersetzbaren Passage die zwei Millionen Wörter seiner Muttersprache abtastete, bevor ihn das rechte Wort, die rechte Wortstellung überfiel.
    Warum die Jack Kerouac School im Naropa Institute als Schule der körperlosen Poeten bezeichnet wurde, kann mir keiner erklären. Vielleicht wollte Ginsberg seinem Freund ein ironisches Denkmal setzen. Denn weder Kerouac noch Ginsberg, keiner von all ihren dichtenden Freunden, kam je in den Verdacht, als schreibender Dünnmann sein Leben verbracht zu haben. Im Gegenteil, sie galten als Hurensöhne und lebenslänglich sexuell inkorrekt. Gerade ihr vehementer Versuch, den Sehnsüchten des Körpers, auch den verleugnetsten, ihr Recht zu verschaffen, gehörte zu ihrem vom Spießer ebenso lebenslang gehassten Markenzeichen.
    Abends durch Boulder schlendern. Ich glaube, es war Alfred Polgar, der behauptete, dass manche Leute ins Kaffeehaus gehen, weil sie allein sein wollen und dabei Gesellschaft brauchen. Ach, wie wahr. Die hiesigen Kaffeehäuser sind abends voll und keiner stört. Dass immer wieder ein paar »Sandler« – so hätte der Wiener Polgar die obdachlosen Penner genannt – hereinkommen und sich von denen, die ein Obdach haben, zu einem Kaffee einladen lassen, stört auch nicht. Zeitungsstöße liegen herum, für jeden genug, für jeden mindestens ein halbes Kilo Buchstaben.
    Wichtigste Meldung der Abendnachrichten: Auch in Boulder ist das Gefängnis überfüllt. Fast um das Doppelte, vierhundert sitzen zur Zeit ein. Nun geht der Sheriff bei den Bürgern hausieren, damit sie den notwendigen Ausbau finanzieren. Die Entfernung zwischen dem Stadtgefängnis und dem vom Naropa Institute mitten in der Stadt errichteten Shambala Meditation Center ist gering. In diesem Zentrum wird unter anderem ein Kurs über unlimited friendliness angeboten. Ganz offensichtlich hat Buddhas Lehre von der grenzenlosen Freundlichkeit noch nicht in allen Bevölkerungsschichten Fuß gefasst. Die Nachricht ist wichtig. Damit keiner auf die absonderliche Idee kommt, hier im schönen Boulder hätten sie Antworten auf alle Fragen.
    Als leiser Zuschauer darf ich am nächsten Tag an einem Seminar von Studenten teilnehmen, die sich in Writing and Poetics eingeschrieben haben, fünf Frauen, ein Mann. Und ein Prof, der Finne Anselm Hollo, ein seit dreißig Jahren in den Staaten tätiger Schriftsteller. Er lehrt nebenbei an den Universitäten Helsinki und Tübingen, machte sich auch als Brecht-Übersetzer einen Namen. Wir sitzen im Chestnut House . Die intime Atmosphäre des kleinen Kastanienhauses entspannt. Meine erste Befürchtung, dass sie hier täglich einen hehren Literatur-Gottesdienst abfeiern, tritt nicht ein. Der Alte ist geistreich und schlagfertig, die Jungen sind penetrant neugierig und schwer verliebt in die englische Sprache. Die Umgangsformen sind eher amerikanisch, sie lachen viel, am lautesten, als jemand furzt.
    Nun hat sich unter den Einsichtigen seit Erfindung des Alphabets herumgesprochen, dass die Kunst des Schreibens weder mit Entspanntsein noch mit guter Laune noch mit Kursen in Kreativem Schreiben zu tun hat. Auch wenn sie in unmittelbarer Nähe des Erleuchteten stattfinden. Auch nicht mit menschlich hochanständigen Motiven oder mit einem aufregenden Leben. Das hilft, reicht aber nicht. Sonst wäre Tarzan Dichter geworden. »Talent«, heißt es auf jiddisch, »mecht schon sein.« Und das ist ein Geschenk des Teufels, so ungerecht, so zuträglich und ruinös wie atemberaubend schön oder atemberaubend intelligent sein.
    So mag einer von solchen Lehrgängen

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