Im Land der Freien
serviert die komplexen Zustände der Welt im Lieschen-Müller-Format. Immer wenn ich auf diese TV -Station aus Atlanta stoße, fällt mir ein Aphorismus von Woody Allen ein: – »Sag, Woody, hast du ›Krieg und Frieden‹ von Tolstoi gelesen?« – »Klar.« – »Um was geht es in dem Roman, Woody?« – »Na, um was wohl? Um Krieg und Frieden.«
So ist CNN . Ich erinnere mich an einen Februarabend 1991, als Ted Turner der Welt und mir den Golfkrieg erklärte. Dass sein Mann in Bagdad, Peter Arnett, ununterbrochen die sauber erstunkene Falschmeldung verbreitete, dass CNN die einzige westliche Nachrichtenquelle in der irakischen Hauptstadt sei, war das geringste Übel. Was physisch weh tat, da es von außergewöhnlicher Flachköpfigkeit und Präpotenz kündete, war der gehörige Mangel an Hintergrundinformation. Was weltweit rüberkam, war die ununterbrochene Verlautbarung der offiziellen Pentagonpolitik: der heuchlerische Stuss von der Wahrung demokratischer Spielregeln im Nahen Osten und ähnliche Sottisen. Und die schwer zu unterdrückende Genugtuung über das Zusammenbomben von Bagdad. Diese hochprofessionelle Nonchalance, mit der hier vom Siechen und Sterben der anderen berichtet wurde – zum Speien.
Dieser Februarabend erwies sich als fruchtbar. Mitten im Bombenhagel verließ ich meine Wohnung, stieg die drei Stockwerke hinunter, öffnete im Hinterhof den Deckel der Mülltonne, ging wieder nach oben, nahm den Fernseher und schleuderte ihn zielgenau vom Balkon aus in den Container. Das berstende Klirren um elf Uhr abends empfand ich als ausgesprochen befreiend. Seitdem hat nie wieder ein Fernsehgerät eine Wohnung von mir betreten.
Heute beschert uns CNN ein paar Augenblicke über die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten, dann ein paar Sekunden über die »Befreit-Tibet«-Kampagne, dann – ausführlicher, es handelt sich um ein rein amerikanisches Thema – wird das Warnsystem Secures vorgestellt: Knallt es irgendwo, dann melden an Strommasten installierte Sensoren den Schuss direkt an die Polizeizentrale. Bis auf zwei Yards genau ist diese neue Erfindung. Somit kann der Sheriff sofort reagieren. Das System wurde erfunden, weil Anrainer nicht mehr anrufen, sei es aus Angst, sei es aus Überdruss, sei es aus dem Gefühl heraus, dass sich sowieso nichts ändert.
Gestern las ich in der Zeitung einen Artikel mit der Überschrift: »Warum sind unsere Kinder so brutal?« Ein Bericht über Zehnjährige, die mit Freuden auf Mensch und Tier zielen. Hier ist die Antwort. Ich zappe durch alle Fernsehsender, die der Hotelbesitzer vom Circus Circus (» family oriented «) an diesem Sonntagnachmittag für seine Gäste zur Verfügung gestellt hat. Das geht so, erster Kanal: Ein Raketenspielzeug, das sogar explodieren kann, wird vorgestellt. Zweiter Kanal: Ein Footballtrainer spricht über das nächste Match seines Teams: » We’ll beat the hell out of them .« Dritter Kanal: Interview mit einem wegen Körperverletzung verurteilten Football-Player: » I keep punching .« Vierter Kanal: Jemand bringt eine Pizza in die Garderobe einer Football-Crew. Fünfter Kanal: Pressekonferenz eines Polizeichefs: » We had to transfer him to a high security prison .« Sechster Kanal: ein Anlageberater: » Your profits double .« Siebter Kanal: Bilder vom Marathonlauf in New York. Achter Kanal: Eine Frau spricht zu einem Papagei: » You naughty boy, come here .« Der Papagei spricht zurück: » Fuck you .« Neunter Kanal: Zwei Frauen sprechen über Blumen-Umtopfen. Zehnter Kanal: ein Zeichentrickfilm, ein Großer zertrümmert gerade einen Kleinen, O-Ton: » The world’s greatest warrior, that’s me .« Elfter Kanal: Zeichentrickfilm, ein Vogel fliegt unter einem blauen Himmel. Zwölfter Kanal: Eine Frau demonstriert Kickboxen: » It’s a lot of fun, go for it .« Dreizehnter Kanal: Vorschau auf den Film Air Force One , eine Gerade auf das Kinn von Harrison Ford. Vierzehnter Kanal: CNN’s Business World News . Der Sprecher: » The Dow Jones ist roaring back .«
238 Minuten, zwei Minuten weniger als vier Stunden, starren sie in diesem Land jeden Tag auf einen Fernseher. Für die Erwachsenen scheint es zu spät, für die Heranwachsenden ist es eine Katastrophe. Keine Geheimnisse entdecken zu dürfen, nicht die Liebe, nicht den Sex, nicht das behutsame Begreifen der Spielregeln des Lebens. Nie ein kinderleichtes Kinderleben haben. Keine Huckleberry-Finn-Streiche, kein Blindekuhspielen, keine Doktorspiele, kein Schussern und
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