Im Land der gefiederten Schlange
hat sie gehalten?«
»Ja«, antwortete Katharina mit den Händen im Korb. »Sie hat es gehalten. Ich hatte es gut, ich war ein glückliches Kind.«
Als sie aufblickte, sah sie die Mundwinkel der Frau nach außen zucken, wie ein Rest von einem verstorbenen Lächeln. »Ich habe ihr versprochen zu schweigen«, krächzte sie. »Um dein Leben nicht zu zerstören. Aber bevor ich sterbe, muss sie wissen, wer ihre Mutter ist, habe ich gebettelt. Wer ihre Eltern waren.«
Katharina wusste, sie hätte etwas sagen sollen, die Frau über das Entsetzliche, das sie erlitten hatte, trösten, doch ihr fehlte die Kraft. Sie hätte sich von der Nabelschnur lösen müssen und aus den Trümmern ihres Lebens einem Morgenstern entgegensteigen, aber sie war nicht mehr als ein erschöpfter Mensch mit einem vaterlosen Kind im Bauch, mit einem schmerzenden Herzen und Angst vor dem kommenden Tag. Sie konnte gar nichts sagen. Nur stillhalten, als die Frau sie noch einmal berührte.
»Du musst jetzt gehen, kleine Taube. Ich habe zu viel von dir verlangt.«
Katharina hielt still. Die Skeletthand strich über ihr Gesicht.
»Don Benito«, sagte die Frau, »bringen Sie meine Katharina wieder ins Tal? Geben Sie auf sie acht, lassen Sie sie zu Kräften kommen. Wann wird sie zu Marthe und Peter zurückreisen? Marthe und Peter werden sie doch nicht verstoßen?«
»Niemals«, erwiderte Benito. »Katharina kann jetzt nicht reisen. Sie bleibt hier, bis nirgendwo mehr gekämpft wird und sie die Kraft dazu hat.«
»Wissen Peter und Marthe, wo sie ist?«
»Wir geben ihnen Bescheid. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Das ist gut.« Tief erleichtert atmete die Kranke, die Vera hieß, auf. »Hab Dank, Katharina. Hab Dank, dass du da warst. Gehen Sie jetzt, Don Benito, bringen Sie mein Mädchen an einen Ort, wo sie sich ausruhen kann.«
Katharina blickte auf. In der Hütte war kaum noch Licht, und sie suchte nach Benito, der ihr auf die Füße helfen würde. Aber Benito kam nicht zu ihr.
»Darf ich Ihnen noch etwas sagen, Doña Vera?«, fragte er. »Ich weiß, Sie sind müde, doch die Sache kann nicht warten.«
»Aber nur zu«, krächzte die Frau namens Vera. »Das bin ich Ihnen ja wohl schuldig. Sprechen Sie.«
Mit zwei Schritten trat er in den Raum und fiel auf seine Knie, dass die Dielen bebten. »Ich möchte Ihre Tochter heiraten«, sagte er. »Sie liebt mich nicht, sie liebt einen bildschönen blonden Tiroler, der Valentin Gruber heißt, aber ich will sie trotzdem. Ich verspreche, ich sperre sie nicht in Lagerhäuser, wenn sie mich nicht nimmt – aber wenn sie mich nimmt, darf ich sie dann haben?«
Die Stille im Raum war greifbar, die Luft so stickig, dass jeder Atemzug schwerfiel. Katharina hörte, wie Vera versuchte etwas zu sagen, und gewiss hörte Vera dasselbe von Katharina.
»Natürlich frage ich Herrn Lutenburg auch«, erklärte er.
»Das darfst du nicht«, schrie Katharina. »Er schlägt dich tot.«
»Ich glaube nicht«, entgegnete Benito. »Es ist so viel Zeit vergangen. Außerdem muss einer von uns deine Familie wissen lassen, dass du wohlauf bist, und du kannst vorläufig nicht reisen.«
»Don Benito«, sagte Vera, und ihre Mundwinkel zuckten heftig. »Finden Sie nicht, wenn meine Tochter nicht Sie, sondern einen schönen blonden Tiroler liebt, dann sollte sie den bekommen?«
»Nein«, erwiderte Benito. »Ich finde, Sie sollte keinen blöden blonden Tiroler bekommen und auch niemanden sonst. Sie ist mein.«
Vera sah von ihm weg und ihrer Tochter ins Gesicht. »Was soll ich mit diesem Mann nur tun?«, fragte sie, und das Zucken ihres Mundes glich jetzt wahrhaftig einem Lächeln.
»Nichts«, antwortete Katharina und stand auf. »Ich tu’s.«
Mit einem Ratschen zerriss ihr Kleid, das am Stuhl festhing. Sie zerrte den Fetzen vom Saum und warf ihn weg. Im Vorbeigehen öffnete sie die Tür der Hütte und ließ die klare Luft ein, den Duft des hohen Frühlings und das Singen der Nacht. Dann ging sie zu Benito und schloss die Arme um ihn. »Was ihr alle dazu meint, schert mich nicht«, sagte sie. »Von jetzt an zählt nur noch, was er mit mir tut und was ich mit ihm tue.« Unter ihren Händen spürte sie, wie seine Schultern sich entspannten und wie er den Kopf erlöst an ihren Leib lehnte. Der gefiederte Schlangengott soll uns die Ohren nicht allzu lang ziehen, dachte sie und streichelte sein Haar. Aber so kleinlich wird er nicht sein. Er hat uns den Pulque gegeben, damit wir tanzen.
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Epilog
Querétaro
Juni 1867
»Hat
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