Im Land der gefiederten Schlange
trägst.«
»Und der Ring!«, rief Katharina und hob ihre Hand in die Höhe, dass die blauen Steine im Halbdunkel glitzerten.
»Den Ring hat Vicente mir geschenkt«, erwiderte die Frau. »Christoph sollte ihn für dich aufheben. Ich mochte Peter gern, aber ich konnte ihn nicht lieben. Ich habe Vicente so geliebt.« Sie musste Atem holen und ihre Gedanken sammeln, vielleicht auch sich Zeit nehmen, um den Schmerz von damals noch einmal auszuhalten. »Die anderen haben gesagt, Vicente ist ein Verbrecher. Aber das war nicht wahr. Es war sein Freund, der uns entführt hatte. Vicente wollte studieren und Anwalt werden. Er hat seinen Freund dazu gebracht, uns gehen zu lassen, und als der Freund von der Hafenwacht erschossen wurde, hat er für dessen Frau und ihre drei Kinder gesorgt. Er hat zu mir gesagt: Es wird lange dauern, bis ich Geld habe und wir heiraten können. Dein Vater war kein Verbrecher, Katharina.«
Und wenn er einer gewesen wäre, hätte es keinen schlechteren Menschen aus mir gemacht, dachte sie. Es macht keinen schlechteren Menschen aus meinem Benito.
»Wenn man verliebt und glücklich ist, vergisst man so viel«, sagte die Frau. »Auch die anderen Menschen. Ich hatte meine Schwester Marthe vergessen. Arme Marthe. Sie hat sich mit Menschen immer so schwergetan, sie hatte nur Christoph und mich, und seit dem Überfall war sie vor Schrecken wie gelähmt. Ich hätte nicht Marthe vergessen dürfen, ich hätte nicht nur an Vicente und mich denken dürfen, dann wäre so vieles nicht geschehen.«
In Wirklichkeit, Kathi, glaubte sie Josephines Stimme zu hören, denkst du Tag und Nacht nur an dich. Aber es war keine Sünde, jung und verliebt zu sein und für kurze Zeit die Welt zu vergessen. Dass dadurch Schreckliches geschah, stand in keinem Verhältnis zu dem lässlichen Vergehen.
»Marthe liebte Peter«, sagte die Frau. »Sie wollte ein einziges Mal einen Menschen für sich. Dass es für sie so aussah, als nähme ich ihr Peter weg, habe ich nicht einmal bemerkt. Sie hatte mich immer so liebgehabt, aber all die Liebe schlug in Hass um. Sie wollte mir so weh tun, wie ich ihr weh tat, und weil sie mondsüchtig war und ich auf sie achtgeben sollte, trafen wir eines Nachts alle zusammen, Marthe, Vicente und ich. Ihre Schwester mit einem Wilden, einem von den Mördern, der totgeschlagen gehörte. Ihre Schwester, die Schande über die Familie brachte. All das schrie sie mir ins Gesicht, und vier Tage später, als sie Peter sagte, sie liebe ihn, und er ihr sagte, er liebe mich, da schrie sie es ihm ins Gesicht. Das war auf Christophs Hochzeit. Meine arme Marthe. Mein armer Christoph. Armer Peter.«
Pfeifend und keuchend rang sie nach Luft. Im Nu war Benito mit dem Krug bei ihr, stützte ihr den Rücken und gab ihr zu trinken. Da er keinen Becher mehr hatte, goss er das Wasser in seine Hand und träufelte es ihr in den Mund. Irgendwann nahm sie seine Hand, klopfte ihm darauf und bedeutete ihm mit einem Blick, sie könne weitersprechen. Benito kehrte an die Wand zurück.
»Es war nicht Peter, der mich beschimpfte und etwas von Wollust mit Affen schrie«, fuhr sie mit rasselnder Stimme fort. »Es war Kurt, dem ich alles kaputtgemacht hatte. Seine Pläne vom Geld der Lutenburgs, seine Rettung – und zu allem hatte ich mich von einem bestialischen Wilden entehren lassen. Kurt bestand darauf, mich in seinem Kontor einzusperren, damit ich den Ruf der Familie nicht länger beflecken konnte. Das Kontor war ein einstiges Gefängnis – in der Kolonialzeit hatte man darin die viehischen Halbmenschen eingesperrt und ausgepeitscht. Ich sollte dort bleiben, bis ich versprach, meinen viehischen Halbmenschen nicht wiederzusehen und Peter Lutenburg zu heiraten. Protestiert hat niemand. Nur Peter. Nicht meine Vera, hat er gesagt.«
Katharina fuhr ein Schmerz in den Leib, der sie zwang, sich vornüberzubeugen. Viehische Halbmenschen, dröhnte es ihr im Kopf. Blutrünstige Affen, die Menschen opfern, verschlagene Wilde mit stumpfen Sinnen. Sie wünschte sich, die Hand nach hinten zu strecken und Benito zu berühren, ihm durch das Zimmer zuzurufen: Ich weiß, wer du bist. Und ich liebe dich.
»Nach all dem Geschrei war ich allein in dem Kontor. Ich war verzweifelt, aber ich wusste, Vicente würde mich finden. Überall auf der Welt. Er würde kommen, und zusammen würden wir alles wieder in Ordnung bringen. Wir würden den anderen sagen, dass ich sein Kind im Bauch trug, und das Leben würde wieder heil sein. Als die Tür, die
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