Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
anhielt. Er sprang vom Kutschbock, hob den Koffer herunter und stieg gleich wieder hinauf.
»Geh schon mal ins Haus.« Sein Ton ließ weder Fragen noch Widerrede zu. Noch immer wich er ihrem Blick aus. »Ich schirre das Pferd ab.«
Margarete wunderte sich, warum er diese Arbeit nicht einem Diener überließ, aber sie war zu erschöpft, um nachzufragen. Jemand hatte Licht brennen lassen, sodass sie den Weg sicher fand. Warum waren die patios nicht wie üblich hell erleuchtet, um den Kaffee zu trocknen? Wo waren die Kaffeebohnen, die sonst ausgebreitet um das Haus lagen? Es war auch kein Wächter da, der Kaffeediebe abschrecken sollte. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
Sie öffnete die schwere Einganstür aus Mahagoniholz und erwartete die Dienerschaft neugierig aufgereiht zu sehen. Zu ihrer Überraschung war die Halle leer. Margarete fühlte sich verloren und stand einen Augenblick regungslos da. Sie hatte sich ihre Heimkehr fröhlicher vorgestellt. Plötzlich ertönte das charakteristische Klackern und Adele kam in die Halle galoppiert, die schimpfende Marisela ihr dicht auf den Fersen.
»Kind, mager bist du geworden.« Die Köchin schob Margarete von sich, nachdem sie sie an ihren großen Busen gedrückt hatte. Aus ihren unergründlichen dunklen Augen musterte sie Margarete. »Haben sie dir nicht genug zu essen gegeben oder hat das Heimweh an dir gezehrt?«
Margarete spürte einen Kloß im Hals. So eine Begrüßung hatte sie sich von ihrem Vater erhofft. »Ein bisschen von beidem«, antwortete sie schließlich. »Ich freue mich, dich zu sehen. Ist Eduardo krank?«
»Nein, er hatte auf der Finca zu tun.« Täuschte sich Margarete oder wich Marisela ihrem Blick aus? »Aber jetzt gehe schon mal in die sala . Deine Großmutter kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Und ich mache dir was Gutes zu essen.«
Mit einem Lächeln betrat Margarete das Besucherzimmer, das so sehr versuchte, europäisch zu wirken. Dicke Teppiche lagen auf dem Boden. Um einen runden Tisch standen Rohrsessel, die zum Verweilen einluden. Vor dem Kamin schien der Schaukelstuhl nur darauf zu warten, dass sich jemand behaglich in ihm ausstreckte, um das flackernde Feuer zu genießen.
Auf dem Holztischchen neben der Tür lagen Bücher und ein paar Zeitschriften, ganz so wie in Bremen. Ihr Blickwanderte zu den Bücherschränken, in denen neben einer kleinen deutschen Bibliothek auch einige Ausgrabungstücke standen, die während der Kaffeepflanzungen zu Tage getreten waren. Sie entdeckte eine Staubschicht, die vermuten ließ, dass hier längere Zeit nicht sauber gemacht worden war. Margarete schüttelte den Kopf. Warum hatte ihre Großmutter sich nicht darum gekümmert? Wo war sie überhaupt?
Wie auf ein Stichwort öffnete sich die Tür.
»Großmama.« Margarete lief Minna Seler entgegen und nahm sie in die Arme. Sie erschrak, als sie die Knochen spürte. Ihre Großmutter war schon immer schlank gewesen, aber nun fühlte sie sich mager an. Margarete drückte ihr einen Kuss auf die Wange und trat einen Schritt zurück, um sie unauffällig zu betrachten. Die Haut ihrer Großmutter spannte sich über den Knochen. Tiefe Falten zeichneten sich um die Mundwinkel ab. »Geht es dir gut?«
»Margarete! Liebes Kind!« Minna Seler lächelte, wich Margaretes forschendem Blick aber aus. Die Großmutter trat an den großen Tisch und schob die Blumenvase mit der längst verblühten Orchidee etwas hin und her. »Wie schön, dass du wieder da bist. Du musst mir alles über deine Zeit in Bremen erzählen. Hast du Marisela schon gesehen?«
»Ja. Sie kocht mir etwas.« Als sie die Worte aussprach, merkte Margarete, wie hungrig sie war.
»Ich hole es für dich, mein Kind.«
Bevor Margarete Einspruch erheben konnte, verließ ihre Großmutter das Zimmer und ließ eine verwunderte Enkelin zurück, die sich im Raum umsah. An der langen Wand fielen ihr helle Stellen auf, an denen früher Ölgemälde gehangen hatten. Hatten die Bilder ihrem Vater nicht mehr gefallen?
Margarete ging zu dem alten Piano, auf dem einegehäkelte Zierdecke lag. Ihre Hand strich über das warme, dunkle Holz. Ein wunderschönes Instrument, nur leider völlig ungeeignet für die Nebelwälder. Schon kurz nachdem ihr Vater es für viel Geld nach La Huaca hatte bringen lassen, begannen die Schwierigkeiten. Die feuchte Luft bekam weder den Tasten noch den Saiten. Das Klavier war völlig verstimmt und man konnte ihm nur einen Ton entlocken, wenn man es bei schönem Wetter nach draußen trug,
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