Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
den Schrankkoffer weiter hinter sich her.
Margarete sah ihm noch eine Weile nach. Sie würde ihn vermissen. Seine Bescheidenheit. Seine Zähigkeit. Seine Klugheit. Und seine Fähigkeit, stets zur rechten Zeit zur Stelle zu sein … Dann erhob sie sich auf die Zehenspitzen, um über die Menge blicken zu können, die sich am Kai versammelt hatte. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie Brocken des Sprachengemischs um sich herumaufschnappte. Das Deutsch der Siedler und Finqueros, das Spanisch der Ladinos mit seinem rollenden R und ab und zu ein Maya-Dialekt, der sie schmerzhaft an Juan erinnerte. Noch hatte ihr Herz nicht begriffen, dass sie wieder im selben Land weilte wie er. Vielleicht weil es nicht wieder enttäuscht werden wollte.
Margarete seufzte und schüttelte sich, um die dunklen Gedanken zu vertreiben. Noch immer konnte sie die Kutsche nicht entdecken, die ihr Vater hoffentlich zu ihrem Empfang gesandt hatte. Wie sonst sollte sie zur Finca gelangen? Wo das Fräulein nur blieb? Ihre Gouvernante hatte ewig in der Kajüte getrödelt, als ob sie nicht gemeinsam mit Margarete an Land gehen wollte. Vielleicht hatte sie sich nur nicht von den Hohermuths verabschieden wollen. Sie hatte die Familie nicht für den richtigen Umgang für Margarete gehalten.
»Hier trennen sich unsere Wege.« Wie ein Geist war Alice Dieseldorf plötzlich neben Margarete aufgetaucht. Ihr ohnehin helles Gesicht wirkte totenblass und ihre Augenlider flatterten wie die Flügel eines Kolibris. Hatte sie etwa geweint? »Auf Wiedersehen.«
»Wie bitte?« Ohne nachzudenken, nahm Margarete die ausgestreckte Hand des Fräuleins und schüttelte sie. »Begleiten Sie mich denn nicht nach Hause?«
»Dein Vater hat mir gekündigt.« Schmallippig und spitz kam die Antwort, doch Margarete meinte, Tränen in den Augen der Gouvernante glitzern zu sehen. »Ich muss mir eine neue Anstellung suchen.«
»Aber … aber …« Margarete versuchte, zu begreifen, was Fräulein Dieseldorf da gerade gesagt hatte. Sie mochte ihre Gouvernante nicht besonders, aber eine Kündigung? DasFräulein hatte sich, soweit sie wusste, nie etwas zuschulden kommen lassen. »Aber warum?«
»Das soll dir dein Vater erklären.« Ein knappes Kopfnicken, dann stolzierte die Gouvernante davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sollte das alles gewesen sein? Nach all den gemeinsamen Jahren?
»Fräulein Dieseldorf! Warten Sie!«, rief Margarete, nachdem sie den Schrecken überwunden hatte, aber da war die Gouvernante bereits in der Menge verschwunden und Margarete blieb allein zurück. Etwas weiter entfernt, entdeckte sie das auffallend weinrote Kleid von Henni Hohermuth und wäre am liebsten zu ihr gelaufen. Doch sie konnte ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt stehen lassen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als hierzubleiben, bis der Kutscher ihres Vaters kam. Sie setzte sich auf den Koffer und wartete. Nach einer Weile stand sie auf und stellte sich erneut auf die Zehenspitzen.
Ein Mann stieß gegen sie und automatisch umklammerte sie ihre Handtasche fester. Anscheinend war es nur jemand, der es eilig hatte. Dennoch spürte sie Angst in sich aufsteigen. Suchend schaute sie sich um. Wo blieb der Kutscher nur? Nicht dass ihr Vater sie vergessen hatte. Was sollte sie tun, falls er sich im Datum vertan hatte? Sich ein Zimmer in einem der Hotels nehmen? Allein und ungeschützt in Puerto Barrios? Erschrocken von der Vorstellung hob sie die Hand vor den Mund und ließ sich mit weichen Knien auf ihren Koffer sinken.
Langsam zog die Dämmerung auf und brachte kühle Luft mit sich. Margarete fröstelte in ihrem Sommerkleid. Erneut blickte sie sich suchend um. Inzwischen hatte sich die Menschenmenge verlaufen. Es waren nur noch Arbeiterzu sehen, die ankommende Frachter entluden oder Kaffeesäcke auf Schiffe trugen, die nach Deutschland, Frankreich oder England auslaufen würden – und ein paar Schaulustige leisteten Margarete Gesellschaft. Sie hatte einige Neugierige abwehren müssen und fürchtete, dass mit Einbruch der Dunkelheit noch weitere, sicherlich unehrenhafte Angebote auf sie warteten.
»Margarete! Margarete!«
Endlich hörte sie eine bekannte Stimme und alle Sorgen fielen von ihr ab. Sie sprang auf und lief auf den Mann zu, der ihr entgegeneilte.
»Papa?« Sie versuchte vergeblich, ihr Erstaunen zu verbergen. Warum holte ihr Vater sie höchstpersönlich ab? Nicht einmal als sie auf die lange Reise ging, hatte er sie begleitet. Auf den Gutsbesitzer wartete immer zu
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