Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
erinnerte.«
Juans Orchidee. Margarete hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihr Herz schlug so rasch, dass sie fürchtete, es könnte zerbersten. Juans Orchidee.
»Wie … wie geht es der Finca?«, fragte sie schließlich, nachdem sie ihre Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatte und ruhiger atmen konnte. »Und den Arbeitern? Geht es ihnen gut?«
»Ach, Kind, was für ein guter Mensch du bist, dass du an die Indios denkst. Ja, ich glaube, es geht ihnen allen gut.«
»Erinnerst du dich noch an den Jungen, der mich damals gerettet hat?« Margarete versuchte die Frage leichthin klingen zu lassen. »Arbeitet er noch hier?«
»Das weiß ich leider nicht. Ich habe ihn jedenfalls schon lange nicht mehr gesehen.« Ihre Großmutter wandte sich erneut den Orchideen zu. Sie strich über eine Blüte und bog einen geknickten Zweig gerade. »Du weißt doch, für mich sehen die Indios am Ende einer wie der andere aus.«
Margarete ballte die Hände zu Fäusten. Ein Jahr lang hatte sie gehofft, Juan wiederzusehen, obwohl sie nie eine Antwort von ihm erhalten hatte. Und nun? Nun war sie in Guatemala, auf La Huaca, und Juan nicht näher als in Bremen.
Enttäuscht ging sie auf die Veranda. Die letzten Nebel zogen aus den Wäldern in den Himmel und tauchten sie in ein unwirkliches Licht. Ein Adler zog seine Kreise über dem Cafétal. Margarete folgte seinem Flug mit ihren Blicken. Hoch erhob sich der Vogel in die Lüfte, über die Hügel bis hinein in die Wolken. Frei sein. Frei sein wie ein Vogel. Der Adler durfte sicher lieben, wen er wollte.
Margarete tat einen tiefen Atemzug. Vor ihr zeigte sich die Kaffeeplantage in ihrer ganzen Schönheit. An denHängen erstreckten sich, so weit das Auge reichte, Kaffeesträucher in kräftigem Grün, geschützt von breitblättrigen Palmen, den Schattenbäumen. An anderen Stellen ragten riesige Bananenbäume zwischen den Kaffeepflanzen wie Giraffen unter Zebras hervor und boten den empfindlichen Sträuchern Schutz.
Margarete hielt es nicht länger beim Haus. Sie hob ihre Röcke etwas an und lief los. Sie bahnte sich ihren Weg zwischen den eng stehenden Kaffeesträuchern. Ein leises Rascheln begleitete sie, wenn sie die Blätter zur Seite schob. Sobald sie hindurchgeschlüpft war, schloss sich das Grün hinter ihr wie in einem Labyrinth. Ein Zweig verhakte sich im Ärmel ihres Kleides, doch sie befreite sich. Die schmalen Zweige bogen sich unter der Last der leuchtend roten Früchte, die in Trauben an den Ästen hingen und durch die Blätter schimmerten. Ab und zu verbargen sich ein paar unreife Kirschen zwischen ihnen. Margarete hatte es sich als Kind nicht nehmen lassen, bei der Ernte zu helfen, und wusste, wie beschwerlich es war, die reifen Kaffeekirschen zu pflücken. Jede Traube musste einzeln abgestreift werden. Die zerquetschten Kaffeekirschen färbten die Finger ein und am Abend unterschieden sich Margaretes Hände nicht mehr von denen der Indio-Arbeiter. Die Arbeit hatte sie völlig erschöpft, aber auch zufrieden sein lassen. Doch das Fräulein hatte ihr untersagt, weiterhin so einen Unsinn zu treiben. Was die Gouvernante wohl machte? Warum war sie nicht in Bremen geblieben, sondern mit Margarete nach Guatemala zurückgekehrt?
In Gedanken versunken, trat Margarete aus dem Dickicht der Pflanzen heraus auf den Sammelplatz. Hier fanden sich normalerweise die Indios ein, um die Säcke mitKaffeekirschen abzuholen. Ganze Familien arbeiteten auf den Fincas und selbst kleine Kinder leisteten ihren Beitrag.
Erst jetzt, wo sie wieder auf La Huaca angekommen war, spürte Margarete, wie sehr sie das alles vermisst hatte. So schön Bremen auch gewesen war, die Stadt konnte sich nicht mit Guatemala messen. Nur den Nieselregen, den hatten sie gemeinsam. Und in Bremen hatte es keinen Mann gegeben, der es auch nur annähernd mit Juan hätte aufnehmen können. Bei dem Gedanken an ihren Geliebten schlug ihr Herz schneller. Hatte er ihr die Treue gehalten, so wie sie es sich versprochen hatten? Wer könnte ihr von Juan berichten? Die Köchin? Nein, Marisela würde die Liebe der Tochter ihres Herrn zu einem Indio auf keinen Fall unterstützen.
Margarete schluckte. Sie lief ein paar Schritte und blieb dann mit jagendem Herzen stehen. Wo sollte sie Juan suchen? Wollte sie ihn wirklich wiedersehen? Wollte sie erfahren, wie es um ihn und sie stand? Was war schlimmer: die Ungewissheit und die drängenden Fragen oder die Gewissheit und die möglichen Antworten? Margaretes Hand
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