Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
schlimmer noch – es bedeutete ihm nichts. »Ich freue mich darauf, die Nebelwälder wiederzusehen.«
»Nebelwälder?«, fragte Elise überrascht. »Was meinst du mit ›Nebelwälder‹?«
»Ich vermisse das Rauschen der Bäume, das silberne Leuchten der Kaffeeblüten und den Duft der geröstetenKaffeebohnen. Ja, selbst den Regen.« Margaretes Gesicht strahlte, als sie von ihrer Heimat sprach. Da wünschte sich Elise, sie näher kennenzulernen und zu erfahren, was es mit den Kaffeepflanzen auf sich hatte. »Ein Jahr war ich weg – und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.«
Laute Schritte, die den schmalen Gang entlangkamen, ließen sie verstummen. Sie hielten den Atem an und lauschten. Der Matrose ging an ihrem Versteck vorbei, ohne sie zu sehen, hatte ihnen aber einen gehörigen Schrecken eingejagt.
»Wir sollten gehen«, wiederholte Elise erneut und dieses Mal konnte sie sich Gehör verschaffen.
»Sehen wir uns morgen wieder?«, fragte Georg. »Nach dem Frühstück?«
»Gern. Gute Nacht.« Margarete wandte sich um und lief leichtfüßig den Gang hinunter. Wahrscheinlich zu ihrer Kajüte, die sicherlich größer und vornehmer war als die von Elise.
Margarete Seler. Ein Mädchen, das sich lieber ertränken wollte, als einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebt. So viel Mut hätte ich nie. Warum nur habe ich den Eindruck, dass sich hinter ihrer Geschichte noch so viel mehr verbirgt? Wenn Georg sich mir nicht in den Weg stellt, werde ich versuchen, hinter Margaretes Geheimnis zu kommen.
E lise legte den Füllfederhalter zur Seite. Alle Gedanken an Katastrophen oder Riesenkalmare waren hinter dem Wunsch verschwunden, mehr über Margarete zu erfahren. Warum war sie in Bremen gewesen? Elise war so aufgewühlt,dass sie nicht einschlafen konnte. Aus ihrem Koffer suchte sie sich Hauffs Märchen und las ihre Lieblingsgeschichte »Die Geschichte von dem kleinen Muck«, der genauso einsam war wie sie.
13 Guatemala 1902
»Auf Wiedersehen.« Henni Hohermuth nahm Margarete überschwänglich in die Arme. »Es war eine Freude, Sie kennengelernt zu haben. Alles Gute für Sie.«
»Grüßen Sie Ihre Familie.« Johann Hohermuth drückte Margaretes Hand mit festem Griff und verschwand, um sicherzustellen, dass alle wertvollen Forschungsutensilien beim Abladen sorgfältig behandelt wurden.
»Ich danke Ihnen für alles.« Margarete spürte Tränen der Rührung über den liebenswürdigen Abschied. Würde sie die Hohermuths, die sie so freundlich aufgenommen hatten, je wiedersehen?
»Ich hoffe, dass dein Vater sich einsichtig zeigt.« Elises Stimme klang gepresst, als ob sie das Weinen unterdrücken müsste.
Auf der Reise hatte sich die einsame Kleine Margarete angeschlossen und stand nun kurz davor, in Tränen auszubrechen. So nett das Ehepaar Hohermuth auch war, beide hatten nur ihre Maya-Tempel im Sinn und brachten für ihre sechzehnjährige Tochter wenig Verständnis auf. Am liebsten hätte Margarete Elise auf die Kaffee-Finca eingeladen, damit das Mädchen nicht durch den Dschungel reisen musste, vor dem sie sich so fürchtete. Immerhin hatte sie Georg das Versprechen abgenommen, auf Elise aufzupassen und sie vor den Gefahren des Regenwalds zu beschützen. Zutraurig, dass Elises Sinn sich nur auf die bedrohlichen Seiten Guatemalas richtete. Margarete umarmte das Mädchen und hoffte, dass es wenigstens ein bisschen die Schönheit des Landes ergründen würde.
Doch nun blieb ihr nur noch ein Abschied. Suchend sah sie sich um und entdeckte bald die sehnige Gestalt von Georg. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Wie nicht anders zu erwarten, machte der Junge sich wieder nützlich. Nachdem er Elises Koffer die schmale Gangway heruntergetragen hatte, schleppte er den gewaltigen Schrankkoffer der Hohermuths über den schwankenden Steg ans Ufer. Als ob er ihre Blicke gespürt hätte, setzte er den Koffer ab, wischte sich mit dem Jackenärmel den Schweiß von der Stirn und schaute sie geradewegs an. Er lächelte und winkte ihr zu. Margarete winkte zurück und ging mit vorsichtigen Schritten an Land. Seltsam, wie schnell sich der Körper an das Schaukeln des Schiffes gewöhnt hatte.
»Auf Wiedersehen, Georg«, sagte sie, als sie vor dem Jungen stand. Warum fiel ihr der Abschied nur so schwer? Vielleicht, weil sie in Elise und Georg die Geschwister sah, die sie sich immer gewünscht hatte?
Georg reichte ihr die Hand. »Ich wünsche dir Glück. Und halte dich vom Wasser fern.« Er zwinkerte ihr zu, drehte sich um und zerrte
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