Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
worüber sich die Indio-Arbeiter jedes Mal gewundert hatten. Vielleicht war es nicht gut, wenn man an einem neuen Ort versuchte, alles so zu gestalten wie in der alten Heimat, dachte Margarete.
»Ich habe deinen Koffer auf dein Zimmer gebracht.« Sie war derart in Gedanken versunken gewesen, dass sie erschrak. Ihr Vater stand in der Tür, das Gesicht gerötet, sicher von der Anstrengung. »Wo ist deine Großmutter?«
»Sie wollte sich um das Essen kümmern.« Margarete fühlte sich unsicher. Sollte sie ihren Vater auf die mangelnde Arbeitsleistung der Diener hinweisen oder lieber ein unverfänglicheres Thema wählen? »Ich vermisse die Kaffeesäcke. Sind sie alle schon verschifft?«
»Es war nicht einfach, das letzte Jahr.« Ihr Vater starrte zu Boden. Seine Hand öffnete und schloss sich, als ob er etwas festhalten wollte, was sich ihm immer wieder entzog.
Margaretes Unsicherheit wuchs. Die Frage, warum sie das erste Mal, solange sie sich erinnern konnte, eine leere Vorhalle gesehen hatte, erschien ihr nur zwingend. Eine Kaffee-Finca lebte doch davon, dass man stets und ständig über Kaffeesäcke stolperte.
»Die Preise fallen.«
Jetzt, da sie darüber nachdachte, fiel Margarete auf, dass es seltsam still gewesen war, als sie angekommen waren. DasSchnaufen der Dampfmaschine, die sonst Tag und Nacht lief, um den enthülsten Kaffee zu trocknen, fehlte ebenso wie die Stimmen der indianischen Arbeiter, die die Kaffeesäcke schleppten.
»Vater, was ist los?« Sie bemühte sich nicht, die aufkeimende Angst zu verbergen. »Vater?«
»Nicht heute. Sag deiner Großmutter, ich hätte keinen Hunger gehabt. Gute Nacht.« Grußlos wandte er sich ab und stolperte davon. Margarete konnte hören, dass er im Flur einen Stuhl umstieß und fluchte.
»Kind, hier sind ein paar Tortillas. Etwas anderes konnte selbst Marisela auf die Schnelle nicht zaubern.« Ihre Großmutter lächelte entschuldigend und stellte einen Teller mit Tortillas, Mais und Frijoles auf den Tisch. »Setz dich doch, Liebes.«
»Großmama, was ist hier los?« Margarete sank auf den Stuhl. Der Geruch der Bohnen bereitete ihr Übelkeit. Gleichzeitig knurrte ihr Magen vor Hunger. »Was stimmt hier nicht?«
»Frage deinen Vater. Ich … ich …« Ihre Großmutter wich Margaretes Blicken aus und zupfte die Blüten der verwelkten Orchidee zurecht. »Ich … ich kenne mich mit dem Kaffeeanbau nicht so aus. Aber sag, wie geht es Tante Elisabeth?«
»Ganz gut, nur der Rücken plagt sie häufig«, antwortete Margarete automatisch. Sie kannte ihre Großmutter gut genug, um zu wissen, dass sie von ihr nicht mehr erfahren würde. Also zerteilte sie eine Tortilla mit der Gabel, aß und plauderte über Bremen, als ob die Ungewissheit durch das Essen und das Nicht-daran-Denken verschwinden würde.
A m nächsten Morgen weckte sie ein seltener Sonnenstrahl. Das konnte nur ein gutes Omen sein. Vielleicht war ihr Vater gestern nur ebenso erschöpft gewesen wie sie und würde sich heute wieder von seiner freundlichen Seite zeigen. So wie sie ihn kannte und liebte. Vielleicht fände sich heute, im Licht des Tages, eine einfache Erklärung für alles. Margarete sprang aus dem Bett, wusch sich flüchtig und eilte ins Esszimmer. Der Frühstückstisch war gedeckt, aber weder ihr Vater noch jemand von der Dienerschaft war zu sehen. Margarete wunderte sich etwas, ließ sich ihr Frühstück aber trotzdem schmecken. Endlich frischer Kaffee. Guatemaltekischer Kaffee. Weniger scharf geröstet als der Kaffee, den sie in Bremen hatte trinken müssen. Sie goss sich eine Tasse ein, schloss die Augen und zog den Duft des aromatischen Getränks ein. Nach dem ersten Schluck, den sie über die Zunge rollen ließ, öffnete sie die Augen und stieß einen genießerischen Seufzer aus.
»Das habe ich vermisst!«
Nach dem Frühstück ging sie in die Küche, um mit Marisela ein Pläuschchen zu halten. Doch die Köchin war nicht zu sehen; auch von Adele keine Spur. Margarete wandte sich um. Ihr Weg führte sie in den Garten, wo sie erwartungsgemäß ihre Großmutter bei den Orchideen fand.
»Guten Morgen, Großmama.« Margarete beugte sich hinab und küsste sie leicht auf die Wange. »Wie hübsch deine Orchideen blühen.«
»Danke, mein Schatz.« Ihre Großmutter lächelte und strich sanft über eine weiße Blüte. »Schau nur, wie schön die Monja blanca gewachsen ist. Das ist die Blume, die du mir vor der Abreise geschenkt hast. Ich habe sie besonders gepflegt, weil sie mich an dich
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