Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
flüsterte Julia. Ihre Stimme klang gepresst, als ob sie gegen Tränen ankämpfte. »Sie haben mich belogen, die ganze Zeit belogen. Diese verdammte Zoe hatte recht.«
Isabell trat einen Schritt zur Seite. Sie wusste Bescheid. Nach der Debatte mit Zoe hatte sie auf den Internetseiten mehrerer Wirtschaftszeitungen nach der Kaffeekrise gesucht und war bald fündig geworden. Es sah nicht gut aus für die kleinen Betriebe, die versuchten, ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
»Komm rein.« So richtig wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Schweigend gingen sie die Treppe nach oben in Isabells Zimmer. Julia schniefte, aber sagte kein Wort.
»Kann ich dir helfen?«, fragte Isabell schließlich, um das Schweigen zu durchbrechen. »Willst du einen Tee?«
»Ja, bitte.« Julia schluckte und kämpfte immer noch mit den Tränen. Sie ließ sich auf den Sitzsack fallen und suchte in ihrer Hosentasche nach einem Taschentuch. Sie setzte zweimal an, bis sie die Worte endlich hervorstieß. »Wir stehen wirklich kurz vor der Pleite. Die Firma meines Vaters, meine ich. Mein ganzes Leben …«
»Ich bin gleich wieder da. Koche nur schnell den Tee.« Isabell verschwand in der Küche, setzte Wasser auf und überlegte, was sie jetzt wohl tun könnte. Inzwischen kannte sie Julia gut genug, um zu wissen, wie sehr deren Zukunftspläne auf die Firma ausgerichtet waren.
»Chai-Tee wäre gut.« Isabell hätte beinahe die Kannefallen gelassen. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie Julia nicht hereinkommen gehört hatte. »Falls du welchen da hast.«
»Wie schlimm ist es? In der Zeitung habe ich nur allgemeines Blabla gefunden«, sagte Isabell schließlich. »Was haben deine Eltern gesagt?«
»Erst haben sie versucht, alles kleinzureden. Dann haben sie von der Weltmarktkrise und so gesprochen. Von wiederkehrenden Zyklen, die unsere Firma schon mehrfach überstanden hat.« Julia schniefte. »Schließlich sind sie eingeknickt. Es sieht nicht gut aus. Wenn sie keinen Investor finden, muss mein Vater die Firma verkaufen. Und selbst wenn er einen findet …«
Isabell holte zwei Teebecher und stellte sie neben Teekanne und Kekse. Vorsichtig balancierte sie das Tablett nach oben in ihr Zimmer. Julia goss sich eine Tasse voll und setzte sich damit vorsichtig aufs Sofa. Isabell trommelte mit den Fingern an ihr Kinn, ging dann zu ihrer Kommode und wühlte darin herum.
»Hier! Für dich.« Sie warf Julia einen kleinen selbst gewebten Stoffbeutel zu.
Mit einer geschickten Bewegung fing Julia ihn auf und zog an der Kordel. Sechs Figürchen fielen in ihre ausgestreckte Hand.
»Du hast den Mr-Spock-Blick und fragst dich, was das soll.« Isabell grinste. »Es sind Sorgenpüppchen.«
»Aha?« Julia nahm eine der Puppen, die aus Draht und buntem Garn gemacht waren, und schaute sie an. Das winzige Gesicht bestand nur aus Punkten und Strichen und dennoch konnte sie eine Träne auf der Wange des Püppchens erkennen. »Muss ich mir jetzt Sorgen machen odersoll ich mich um die Dinger kümmern? So wie um ein Tamagotchi?«
»Nein. Sie kümmern sich um deine Sorgen.« Isabell nahm vorsichtig eine der Figuren und hielt sie hoch. »Es ist eine alte Legende aus Guatemala. Die Prinzessin Ixmucane war so schön und so gütig, dass alle Menschen ihre Sorgen an sie herantrugen. Natürlich konnte selbst eine Prinzessin nicht alles schultern und sie wandte sich an den Sonnengott …«
»Die Maya hatten einen Sonnengott?«, reagierte Julia mit Erstaunen. »Ich dachte, sie hätten nur Schlangengötter oder so etwas?«
»Du meinst die Gefiederte Schlange, den Gott Kukulcán oder Gucumatz« , sagte Isabell, als ob es das Selbstverständlichste von der Welt wäre. »Er ist der, an den die meisten Menschen denken, wenn sie etwas über die Maya hören. Aber die Maya kannten Hunderte von Göttern, weil sie daran glaubten, dass alles beseelt war. Es gab sogar eine Göttin des Selbstmords.«
»Woher weißt du das alles? Lernt man das in Guatemala in der Schule?«
»Eher am Rande.« Isabell lächelte. »Aber wenn deine Eltern sich den lieben langen Tag mit alten Steinen und Legenden beschäftigen, bleibt irgendetwas hängen. Bei uns erzählten meine Eltern beim Abendessen von Itzamná, dem Gott des Himmels, und von Ix-Chel, der Herrin des Regenbogens.«
»Aha«, antwortete Julia einsilbig. Isabell fürchtete schon, dass sie wieder zu viel über Maya-Götter erzählt hatte. »Und der Sonnengott hat dann was mit den Püppchen gemacht?«
»Der Sonnengott gab der
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