Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
spekulieren. Aber wir brauchen es nicht«, sagte Isabell und ihre Stimme klang frostig. »Es geht schließlich nicht um Elise, sondern um unser Projekt.«
»Liest du bitte weiter?«, lenkte Julia ein. Es hatte keinen Sinn, jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen. Vielleicht klärten Elises Tagebücher das Geheimnis ohnehin auf. »Ich möchte wissen, wie es den Hohermuths nach dem Tempelfund ergangen ist.«
41 Guatemala 1902
»Elise!«
Endlich hörte sie ihn. Klar und deutlich zwischen zwei Schlägen. Zögernd blickte sie auf – und entdeckte das sorgenvolle Gesicht ihres Vaters, der zu ihr heruntersah. »Kind! Da bist du ja! Bist du verletzt?«
»Vater!« Tränen strömten ihr übers Gesicht, vor Glück konnte sie kaum sprechen. »Ich … ich komme hier nicht heraus.«
»Warte einen Augenblick.«
Als ihr Vater verschwand, wurde Elise erneut von Einsamkeit überwältigt. Auch wenn sie wusste, dass er zurückkehren würde, gelang es ihr nicht, dieses Gefühl zurückzudrängen. Sie hielt den Kopf hoch und starrte weiter an die Stelle, wo er eben noch gewesen war. Hoffentlich kam er zurück, bevor die Dunkelheit anbrach …
»Lischen!« Elise meinte, Tränen auf den Wangen ihrer Mutter zu sehen. »Johann holt ein Seil. Halte durch.«
Elise konnte nur nicken. Überwältigt von dem Wissen, dass sie dem Tod nur knapp entronnen war. Jetzt, da sie die Rettung vor sich sah, überfielen sie die Schreckensbilder der vergangenen Stunden mit ungeheurer Wucht. Als sie den rettenden Strick endlich zu fassen bekam, brachte sie kaum noch die Kraft auf, sich festzuhalten. Endlich. Endlich zogen die Träger und Georg sie ans schwindende Tageslicht. Sie fiel auf die Knie und weinte bitterlich.
»Elise! Komm ins Warme.« Ihre Mutter zog sie hoch, führte sie zum Feuer und nahm sie in die Arme. Nach einer Weile schob sie Elise ein Stück zurück und schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Was hast du dir nur gedacht? Wir sind fast umgekommen vor Sorge.«
»Und ich vor Angst!« Elise ärgerte sich über den Vorwurf. »Ich dachte … ich dachte, ich sehe euch nie wieder.«
»Ach, Kleines.« Henni Hohermuth zog ihre Tochter an sich und hielt sie fest. So fest, dass es beinahe wehtat. »Du darfst im Dschungel niemals allein loslaufen. Niemals. Das haben wir dir so oft gesagt.«
»Ich weiß.« Elise senkte den Kopf. Wieder einmal hatte sie ihre Eltern enttäuscht und sich als untauglich erwiesen. Hatte die Expedition unnötig aufgehalten und alle durch ihr unbedachtes Handeln in Angst und Schrecken versetzt. Wie konnte sie diese Schmach je wiedergutmachen? Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit, aber … Sie hatte ein Versprechen gegeben. Einem Fremden, der ihr das Leben gerettet hatte. Doch bevor sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, platzte es aus ihr heraus: »Da unten ist ein Tempel.«
»Was meinst du?« Henni Hohermuth schaute Elise ungläubig an. »Was soll das heißen?«
»Ich … ich war in einem Tempel. Einem heiligen Tempel.« Elise fühlte sich, als ob sie aus einem Traum erwacht war. Jetzt, hier in Sicherheit, erschien ihr das Abenteuer beinahe wie ein Märchen, das ihr jemand erzählt hatte.
»Ein Tempel?« Ihre Mutter beugte sich vor. Ihre Augen glitzerten und Elise schauderte unter dem eindringlichen Blick. »Du meinst ein Grab.«
»Nein, nein. Es war ein riesengroßer Tempel und ohne den Indio hätte ich nie den Weg herausgefunden.«
Auf dem Gesicht ihrer Mutter zeichnete sich Unglauben ab, sodass Elise es sofort bereute, davon erzählt zu haben. Und ihr schlechtes Gewissen meldete sich, weil sie dem Brujo versprochen hatte, zu schweigen.
»Schon gut, Kleines.« Henni lächelte. Ein unechtes Lächeln. Hätte sie nur geschwiegen. »Ich glaube dir ja. Es … es ist nur … ein Tempel. Ein verborgener Tempel. Nicht auszudenken, wenn …«
»Wir bleiben hier«, mischte sich nun ihr Vater ein. »Kannst du uns den Eingang zeigen? Du findest ihn doch wieder, oder?«
Elise biss sich auf die Unterlippe. Wäre das nicht die Möglichkeit, sich elegant aus der Affäre zu ziehen? Sie musste nur behaupten, den Weg nicht wiederzufinden, und könnte damit das Heiligtum schützen. So, wie sie es versprochen hatte. Sie wollte ihrem Vater gerade antworten, als sie wieder das Leuchten in den Augen ihrer Mutter bemerkte. Elise schluckte. Nein, sie brachte es nicht über sich, ihre Mutter zu enttäuschen. Auch wenn sie damit ihr Versprechen brechen würde.
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, flüsterte sie
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