Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
blindlings davon, stolperte, fiel auf die Knie, ergriff mit den Händen etwas Weiches, schrie auf, rappelte sich erneut hoch, stolperte und geriet immer tiefer in das Labyrinth der Höhle hinein.
»Halt! Warte! Kind, so warte doch!«, hörte sie den Schamanen hinter sich rufen. Dann Geräusche, als ob er ihr nachlief. Ihr Herz schlug bis zum Hals, das Blut raste durch ihre Adern und dröhnte in ihren Ohren. Wieder fiel sie hin. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihr Knie.
Humpelnd hastete sie weiter, voran, nur weg von ihrem Verfolger. Sie lief und lief, bis ihre Lungen brannten. Vollkommen erschöpft blieb sie stehen und beugte sich nach vorn, stützte die Hände auf die Oberschenkel und rang nach Atem. Sie lauschte ins Dunkel. Stille. Ohrenbetäubende Stille. Ihre Flucht war gelungen.
»Ich werde dir nichts tun«, erklang eine Stimme neben ihr.
Sie schrie auf und sprang zur Seite, aber sie war viel zu erschöpft, um auch nur ans Weglaufen zu denken. Ergeben schloss sie die Augen, um den tödlichen Dolchstoß nicht ansehen zu müssen.
Nichts geschah.
»Bitte, du kennst mich.« Der Indio, nur ein Schemen im Dunkel der Höhle, hatte die Hände erhoben. Seine Stimme klang müde und traurig. So traurig, dass Elise ein schlechtes Gewissen übermannte. »Ich will dir helfen, deine Familie wiederzufinden.«
»Aber … aber …« Sie rang nach Worten, suchte nach den Fragen, die sie stellen wollte, doch vor Erschöpfung drehte sich alles um sie. Und noch bevor sie etwas sagen konnte, verließen sie ihre Kräfte. Sie sank zu Boden.
»Hier trink das.« Ein stechender Geruch drang ihr in die Nase. Sie wollte den Kopf wegdrehen, doch jemand hielt sie fest und zwang ihr eine Flasche an die Lippen. Wollte der Brujo sie etwa vergiften? Sie wehrte sich, aber er war stärker und zwang sie zu trinken. Eine scharfe, beißende Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab. Sie würgte.
»Aguardiente. Das wird dir helfen.«
Nachdem er ihren Kopf endlich losgelassen hatte, breitete sich Wärme in ihrem Magen aus. Vielleicht wollte er ihr doch nichts Böses?
»Aber …«, begann sie erneut. »Aber Sie sagten doch, dass Sie das Heiligtum mit allen Mitteln schützen wollen.«
»Ich versuche es.« In seiner Stimme meinte Elise ein Lächeln mitklingen zu hören. Er tastete nach ihrer Hand und drückte etwas hinein. »Maisfladen. Du musst etwas essen.«
»Danke.« Wieder rasten die Gedanken durch ihren Kopf, doch sie konnte weder Anfang noch Ende finden. Waren es Vorurteile, die sie derart in Panik versetzten, oder war es kluge Vorsicht? Sollte sie erneut fliehen oder dem Brujo vertrauen? Nach einigen Minuten des Schweigens hatte sie endlich eine Entscheidung getroffen. »Können Sie mich zu meinen Eltern bringen?«
»Vertrau mir.« Wieder tastete der Indio nach ihrer Hand. Seine Finger fühlten sich warm an und vermittelten ihr ein Gefühl von Geborgenheit. »Halte meine Hand fest und wir werden sicher hinausgelangen.«
Elise nickte. Sie folgte dem Brujo eine lange Zeit. Erst geradeaus, dann nach links, nach rechts, wieder nach links, bis sie keinerlei Orientierung mehr hatte. Nun musste sie sich ganz darauf verlassen, dass der Indio ihr wirklich und wahrhaftig helfen wollte.
Langsam lichtete sich der Dschungel, der die Höhle bedeckte, und Elise konnte das fahle Licht der Morgendämmerung, das sich zwischen den Baumwipfeln abzeichnete, über sich erkennen. Sie schaute sich um. Sie waren in einer tiefen Höhle angekommen, die sich dunkel vor ihr erstreckte und nicht mehr an einen Maya-Tempel erinnerte. Hier gab es keine Stelen oder Opfersteine. Wie lange waren sie gelaufen? Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass die Nacht dem Tag gewichen war.
Plötzlich blieb der Brujo stehen und schaute sie ernst an. »Ich bitte dich, erzähle deinen Eltern nichts von diesem Tempel.« Er schien sie mit seinen schwarzen Augen hypnotisieren zu wollen. »Das Heiligtum muss im Verborgenen bleiben.«
»Ja.« Elise kämpfte gegen Tränen an. Tränen der Dankbarkeit und Tränen der Hoffnung. »Ja, ich verspreche es.«
»Gut.« Sanft entzog er ihr seine Hand und presste zwei Finger an ihre Stirn. »Du wirst deinen Weg finden.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und verschwand lautlos wie ein Geist. Als ob er den Weg durch das Dunkel schon Dutzende Male gegangen war.
Verwundert starrte Elise ihm nach. Hatte sie sich dasGanze nur eingebildet? Hatten Hunger und Durst Halluzinationen verursacht oder war der Schamane tatsächlich da gewesen?
Während
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