Im Land der Orangenbluten
nun eintraf, mussten sich alle während seiner Anwesenheit verstellen. Also packte Martina ihre Sachen und zog, gefolgt von Liv, ins Stadthaus zu Julie. Schließlich konnte sie nicht bei der Familie ihrer Mutter wohnen, wenn ihr Vater in der Stadt war. Pieter hatte sich derweil abgesetzt und einen Kurzbesuch bei einem alten Freund angetreten. Julie vermutete, dass die
Hochzeitsvorbereitungen schon an seinen Nerven zehrten. Aber so kam sie jetzt zumindest nicht in die unangenehme Situation, das Stadthaus mit ihm teilen zu müssen. Martinas Laune allerdings war daher ebenso getrübt wie die von Julie.
Karl traf am späten Nachmittag ein. Julie und Martina hatten sich über die Einzelheiten zur Hochzeit abgesprochen – nicht, dass sich eine von ihnen noch verplapperte!
Am nächsten Morgen zeigte Karl daran aber wenig Interesse. Mit mürrischem Gesicht saß er am Tisch und lauschte Martinas Ausführungen mehr oder weniger ungeduldig. Er schien nicht einmal überrascht zu sein, dass Julie es geschafft hatte, sich in so kurzer Zeit um Köchinnen und Personal zu kümmern. Umso mehr schien er sich aber darüber zu ärgern, seinen zukünftigen Schwiegersohn nicht in der Stadt anzutreffen. Erst bei der Erwähnung von Ivon Cornet blickte Karl kurz irritiert auf »Ivo ... wer?«
Martina versicherte ihm sofort, dass dieser junge Mann ihr wärmstens von einer ehemaligen Schulfreundin empfohlen worden sei. Er sei momentan der beste Organisator von Festen in ganz Surinam. Er habe sogar schon für die Tochter des Gouverneurs gearbeitet.
»Was das alles kostet!« Karl zog verärgert die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts weiter. Alsbald verabschiedete er sich, ließ sich von Foni Hut und Jacke reichen und verkündete, es könne spät werden am Abend, man bräuchte mit dem Essen nicht auf ihn zu warten. Martina und Julie atmeten gleichzeitig erleichtert auf.
Julie packte die Gelegenheit beim Schopf, schließlich galt es, wichtige Dinge zu erfahren. Kaum hatte Karl das Haus verlassen, rief sie nach Kiri und nahm sie beiseite. »Folge dem Masra, ich will wissen, was er den Tag über so treibt.«
Kapitel 8
Als Kiri auf die Straße hinaustrat, zögerte sie kurz. Ein Angstschauer lief über ihren Rücken. Musste sie jetzt wirklich allein los? Ja, die Misi hatte es ihr befohlen. Also eilte sie sich, der Droschke zu folgen, in die der Masra eingestiegen war. Zum Glück war es recht belebt auf der Straße, sodass der Wagen nicht allzu schnell fahren konnte. Kiri hastete am Straßenrand hinterher. Seit sie bei Misi Juliette wohnte, war sie nie allein durch die Stadt gelaufen. Entweder hatte einer der Haussklaven sie begleitet, wenn sie für Foni Besorgungen erledigte, oder sie war mit Misi Juliette und Masra Jean unterwegs gewesen.
Jetzt schwappten in ihr Erinnerungen an die Erlebnisse hoch, die sie nach ihrer Flucht von der überfallenen Plantage in der Stadt gehabt hatte. Der weiße Soldat, der sie so barsch angefahren hatte, der Sklavenhändler Bakker, der stinkende Verschlag, in dem sie wochenlang hatte kauern müssen. Hoffentlich dachte jetzt nicht wieder jemand, sie sei Freiwild und fing sie ein. Die Misi würde sie niemals wiederfinden in dieser großen Stadt.
Die Gedanken hatten ihre Schritte verlangsamt, und fast hätte sie die Kutsche aus den Augen verloren. Kiri riss sich zusammen, sie hatte einen Auftrag und beschleunigte ihren Schritt. Je schneller sie herausfinden würde, wohin der Masra fuhr, desto eher konnte sie wieder zurück zur Misi.
Die Kutsche fuhr immer weiter, die Häuser am Straßenrand wurden zusehends ärmlicher, und auf den Fußwegen sah man immer häufiger auch Weiße zu Fuß gehen – ein untrügliches Zeichen dafür, dass es sich hier nicht gerade um eine noble Gegend handelte. An einem Eckhaus kam die Droschke schließlich zum Stehen. Viel weiter hätte sie auch nicht fahren können, am Ende der Straße lagen nur noch Kostäcker.
Masra Karl stieg aus, und der Kutscher setzte zum Wenden an. Kiri drückte sich hinter eine Hausecke, von wo aus sie beobachtete, wie der Masra auf das Eckhaus zuging und ohne zu klopfen durch die Eingangstür trat. Kiri wartete.
Die Sonne stieg höher und höher, und allmählich taten ihr vom langen Stehen die Beine weh. Also setzte sie sich hin und lehnte sich an die Hauswand, wenn niemand in der Nähe war, sprang aber schnell auf und lief ein paar Meter hin und her, sobald eine Kutsche oder ein Fußgänger kam. Es sollte schließlich niemand denken, sie lungere hier
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