Im Land der Orangenbluten
herum. Gerade als sie überlegte, woher sie jetzt wohl einen Schluck Wasser bekommen könnte, näherte sich von der Seite der Gärten aus eine hochgewachsene schwarze Frau. Kiri bereitete sich darauf vor, einen geschäftigen Eindruck zu machen, aber zu ihrer Verwunderung ging die Frau auf das gleiche Haus zu, in dem vor Stunden der Masra verschwunden war, und betrat es. Durch die gleiche Tür wie der Masra!
Kiri ließ sich verwirrt im Schatten der Hauswand nieder. Dann würde der Masra wohl bald auch fertig sein und nach Hause wollen. Aber nichts geschah. Als sich die Sonne zum Nachmittag neigte, hatte Kiri genug vom Warten. Ob die Misi böse mit ihr wäre, wenn sie jetzt nach Hause kam? Viel hatte sie ja nicht in Erfahrung gebracht, sie konnte der Misi nicht einmal sagen, wie die Straße hieß, in der sie nun seit Stunden auf den Masra wartete.
Als zwei schwarze Jungen die Straße entlangkamen, sprach sie diese an: »Hört mal, könnt ihr mir was sagen?« Die etwa zwölfjährigen Bengel kicherten. Kiri zeigte auf das Eckhaus. »Wer wohnt da, wisst ihr das?«
Wieder kicherten die beiden, der eine zuckte mit den Achseln, der andere setzte aber plötzlich eine gewichtige Miene auf und nickte. »Ich weiß, wer da wohnt.«
»Na, sag schon«, bat Kiri ungeduldig.
»Was kriegen wir denn dafür?«, fragte der Bengel spitz.
Kiri seufzte. »Ich hab nichts für euch.« Wie zum Beweis zupfte sie an ihrem Kleid.
Der Junge blickte kurz mürrisch drein, dann leuchtete sein Gesicht aber wieder spitzbübisch auf. Er flüsterte seinem Freund etwas ins Ohr, und der kicherte gleich wieder los.
Kiri rollte ungeduldig mit den Augen. »Na, sagt schon, was wollt ihr?«
Jetzt schienen sich die Jungen zu genieren. Der größere grinste zwar immer noch bis über beide Ohren, blickte aber zu Boden. »Wenn du’s wissen willst, musst du ... du ...« Er zupfte an seinen verschlissenen Hosenbeinen, als wolle er sie hochziehen.
»Ach was.« Kiri verschränkte trotzig die Arme. Was glaubten die Kleinen denn!
»Bitte!«, feixte jetzt der Kleinere.
Kiri schaute sich kurz um. Niemand war zu sehen.
»Also gut.« Schnell zog sie ihr Kleid bis kurz über die Knie hoch. Die Jungs quietschten vor Lachen und wollten auf dem Absatz kehrtmachen, als Kiri den einen am Schlafittchen packte. »Du hast versprochen, es mir zu sagen«, forderte sie energisch.
Der Junge zappelte an ihrer Hand.
»Ist ja gut! Da in dem Haus, meinst du? Lass los! Lass schon los.« Kiri lockerte ihren Griff. »Da wohnen die Suzanna und der Masra Karl.« Und mit einem Ruck riss sich der Junge los und rannte johlend hinter seinem Freund her.
»Der Masra Karl?« Kiri blieb verdutzt allein am Wegesrand stehen.
Sie musste nach Hause, sie musste der Misi Bericht erstatten. Auch wenn der ihrer Misi bestimmt nicht gefallen würde.
Karl kam weder am Abend nach Hause noch spät in der Nacht, er kam gar nicht. Julie hatte Kiri, die erschöpft und sichtlich irritiert in das Stadthaus zurückgekehrt war, nach ihrem Bericht freigestellt. Sie sollte sich bei Foni etwas zu essen abholen und sich dann zur Ruhe begeben. Julie selbst lag stundenlang in ihrem Zimmer und lauschte auf die Geräusche des Hauses. Irgendwann schlief sie ein. Am Morgen blieb Karls Platz am Tisch frei. War er bei dieser Frau geblieben? Bei Suzanna? War sie Teil seiner surinamischen Ehe, von der Pieter gesprochen hatte?
Martina schien die Abwesenheit ihres Vaters nicht weiter zu stören, sie sehnte vermutlich den Abend herbei, wenn er wieder Richtung Plantage reisen und sie zu Valerie ziehen würde – bis zu seinem nächsten Besuch.
Nachmittags kam Karl kurz ins Stadthaus, entschuldigte seine lange Abwesenheit knurrend mit geschäftlichen Dingen und verabschiedete sich dann wieder nach Rozenburg.
Martina packte ihre Tasche und zog mit Liv zu Valerie. Julie blieb mit Kiri im Stadthaus.
Grübelnd zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück. Wenn Karl wirklich eine Liebschaft hatte, wäre das vielleicht eine Möglichkeit für sie, aus der Ehe mit ihm zu kommen. Eine wirkliche Ehe führten sie ja schon seit Monaten nicht mehr. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wann er sie das letzte Mal in ihrem Bett besucht hatte ... Julie schüttelte es allein bei dem Gedanken an den Alkoholgeruch. Nein, es war ihr ganz recht, dass er sich zurückhielt. Aber eine Scheidung? War das wirklich eine Möglichkeit? Vermutlich blieben ihr als Frau dabei kaum Rechte. Sie würde mittellos sein, ihr Vermögen war bei der Heirat an Karl
Weitere Kostenlose Bücher