Im Land der Orangenbluten
unentschlossen, welches sie bei ihrem Besuch bei den Fiamonds tragen sollte. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Warum beschäftigte sie die Sache so sehr? Es ging doch schließlich um Martinas Hochzeit. Julie wusste, dass dieser Erklärungsversuch nur vorgeschoben war, insgeheim gestand sie sich ein, dass sie immer das Gefühl hatte, mit Felice mithalten zu müssen. Felice, die geheimnisvolle erste Frau ihres Mannes, Felice, die geliebte Mutter ihrer Stieftochter. Aber wem wollte sie eigentlich etwas beweisen? Karl hatte sich nicht unbedingt als liebevoller und treusorgender Ehemann entpuppt, und Martina war nach wie vor eine Katze. Haschte Julie immer noch nach Anerkennung? Es schmerzte sie schon, dass die Ehe mit Karl sich nicht so entwickelt hatte, wie zunächst erhofft. Aber ihren Gram darüber hatte sie schnell zu vergessen versucht und sich auf andere Dinge konzentriert. Auf die Sklaven der Plantage, auf Kiri ... auf Jean Riard! Diese Menschen lagen ihr inzwischen wirklich am Herzen und waren eine Art Ersatzfamilie für sie geworden. Aber jetzt, hier in der Stadt, traf sie mit unverhohlener Kraft die Erkenntnis, dass sie die nächsten Jahre als schmuckes Beiwerk eines Mannes leben würde, den sie weder liebte noch begehrte.
Julie ließ sich aufs Bett fallen und starrte an die Decke. Dass dabei einige der Kleider, die Kiri sorgsam dort ausgebreitet hatte, zerknitterten, störte sie nicht weiter.
Ihre Gedanken schweiften ab. Was wäre, wenn sie ohne Karl in dieses Land gekommen wäre? Das wäre natürlich ein Unding gewesen, aber angenommen es wäre so, oder sie wäre gar hier heimisch gewesen, hätte einen attraktiven Mann in einem ihr angemessenen Alter kennengelernt ... einen Mann wie Jean Riard? Kurz verlor Julie sich in der Vorstellung, Jean Riard wäre an Karls Stelle, vielleicht hätte sie inzwischen eine eigene, kleine, glückliche Familie gegründet? Familie? Ruckartig setzte sie sich auf und schalt sich ihrer Gedanken. Er war ihr als verheiratete Frau so fern wie Surinam Europa. Sie durfte nicht einmal daran denken, dass ... Aber gleich sprangen ihre Gedanken wieder zu seinen blauen Augen und seinen kleinen Lachgrübchen. Gestern hatte sie ihm aufgrund ihrer Sorge über das nahende Treffen mit Valerie kaum folgen können, jetzt konnte sie sich nicht auf dieses Treffen konzentrieren, weil ihre Gedanken ständig zu Jean Riard wanderten. Was war nur los mit ihr? Sie fühlte sich erschöpft und fiebrig.
Die Droschke fuhr dieses Mal schnell durch die Straßen der Stadt. Sie war vom Hause Fiamond geschickt worden, und Julie hatte Kiri angewiesen, daheim zu bleiben, was Foni mit einem nachdenklichen Blick quittiert hatte. Julie betrachtete neugierig die Umgebung. Einige Straßen kannte sie bereits, hier war sie mit Riard gewesen, aber dann gelangten sie in ein ihr unbekanntes Viertel. Die Straße war breiter, der feine Muschelsand glänzte weiß und sauber in der Sonne, und hier und da beobachtete sie kleine Sklavenjungen, die die Wege vor den Häusern mit Palmenbesen reinigten. Vor ziemlich großen Häusern, stellte Julie erstaunt fest – alle Gebäude waren durchweg imposant und nicht so dicht aneinandergebaut wie in der Keizerstraat. Dies hier war eine bevorzugte Wohngegend – eine Erkenntnis, die ihre Nervosität noch verstärkte. Dann bog die Droschke durch das Nebentor eines gepflegten Anwesens, durchfuhr einen Palmengarten und kam zum Stehen.
Noch während Julie ausstieg, erschien Martina in der Haustür und begrüßte sie. »Tante Valerie wartet schon«, sagte sie fröhlich.
Julie atmete tief durch und folgte ihrer Stieftochter. Diese bewegte sich selbstsicher durch das Haus. Vermutlich hat sie hier in ihrer Kindheit mehr Zeit als auf Rozenburg verbracht, kam es Julie in den Sinn. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie Martina als kleines Mädchen mit wehendem Kleidchen durch diese Flure gelaufen war. Oder besser gesagt »gegangen«, dies waren Flure, durch die man nicht lief, nicht einmal als Kind. Julie fühlte sich ähnlich eingeschüchtert, wie damals bei den Besuchen im Haus ihres Onkels. Dort hatte sie stets still sein müssen, man hatte sich nur leise zu bewegen und zu sprechen. Nur ihr Cousin hatte diese Regeln regelmäßig missachtet, was ihn mehr als einmal zur Zielscheibe seiner Mutter gemacht hatte. Tante Margret. Julie erschauerte, hoffentlich traf sie bei Valerie Fiamond nicht ausgerechnet auf diesen Typ Tante.
Martina führte Julie in einen hellen und freundlich eingerichteten
Weitere Kostenlose Bücher