Im Land der Orangenbluten
grinste breit. »Ja. Haben Sie jemanden, der ... den ich da hinbringen soll?«
»Nein ... doch ... wir ...«
Ließen die Stadtbewohner dort etwa ihre Kranken abliefern?
Jetzt ging der Mann ein Stück an der Reling entlang, öffnete eine Klappe an der Bordwand und schob einen Steg zum Anleger hinüber. »Vielleicht wollen die Damen das lieber auf dem Schiff besprechen?«
Julie schob Erika vor sich her und flüsterte: »Nun geh schon!«
Erika straffte sich und ging vor Julie über den wackeligen Brettersteg. An Deck blickte der Kapitän die beiden erwartungsvoll an.
»Also, wissen Sie ...«, versuchte Julie sich zu erklären, »es geht darum, dass jemand gern dahin möchte, aber nicht genau ... na ja, diese Passierscheine sind nicht leicht zu bekommen.«
Der Mann machte nun ein ernstes Gesicht. »Ich verstehe. Die Damen wissen aber schon, dass es in Ba ... da nicht so ... na ja, ich meine, das ist kein Erholungsheim, Sie verstehen.«
Jetzt fand Erika endlich ihre Sprache wieder. »Ja, das wissen wir. Ich ... mein Mann ... wir vermuten, dass er dort ist.«
»Sie wollen also nach ... hat Ihr Mann denn ... ich meine, ist er Patient dort?«
»Nein. Ich glaube ... ich weiß es nicht, eigentlich arbeitet er als Missionar.«
»Hm, ja, zwei weiße Missionare gibt es dort. Aber ich betrete die Station nicht. Den einen sehe ich immer nur aus der Ferne, den anderen gar nicht.«
Jetzt meldete sich Julie wieder zu Wort. »Wären Sie denn bereit, gegen eine gewisse Aufwandsgebühr versteht sich, jemanden dorthin zu bringen?«
Der Mann schien zu überlegen.
»Bitte!« Erika sah ihn mit ihren unschuldigen Rehaugen unverwandt an.
Er runzelte die Stirn. »Na ja, es wird nicht gerade billig, für mich entsteht ein gewisses Risiko, Sie verstehen? Und es müssen bestimmte Regeln eingehalten werden. Auf dem Boot ... und vor allem vor Ort.«
Julies Gesicht hellte sich auf. »Das ist kein Problem!«, sagte sie und stieß Erika auffordernd an. »Wann würden Sie denn fahren?«
»Ich lege in drei Tagen ab, in aller Frühe. Und es wäre gut, wenn Sie«, er warf Erika einen nachdrücklichen Blick zu, »wenn Sie das Schiff bereits im Dunkeln besteigen würden. Alles Weitere regeln wir dann.«
Klara schaute zwar misstrauisch, als Erika ihr mit leicht zitternder Stimme verkündete, sie müsse für einige Tage auf die Plantage reisen, auf der sie früher einmal gearbeitet habe, sagte aber nichts weiter als: »Natürlich passe ich auf die Kinder auf.«
Reiner war quengelig, es passte ihm ganz und gar nicht, dass seine Mutter so ganz ohne ihn ein Abenteuer antreten wollte. »Ich bin in einigen Tagen wieder da, Reiner«, versicherte Erika ihm zuversichtlich. Sie hatten es in der Tat versäumt, den Kapitän zu fragen, wie lange die Fahrt dauern würde. Länger als eine Woche wäre sie aber sicher nicht weg.
Um Klara durch einen nächtlichen Aufbruch nicht noch misstrauisch zu machen, verbrachte Erika die letzten Stunden vor ihrer Abfahrt bei Julie. An Schlaf war nicht zu denken. Schweigend saßen sich die Frauen gegenüber. Julie dachte an Jean. Wenn ihr doch nur eine Idee käme, wie sie ihn finden könnte.
Erika seufzte leise. Julie wusste, dass Erika im Grunde große Angst hatte, ihren Mann wiederzusehen. Schließlich würde er seine Gründe haben, sich über drei Jahre lang nicht gemeldet zu haben, die Möglichkeit dazu hätte er, zumindest per Brief an die Mission, gehabt. Julie schwante nichts Gutes. Aber sie wusste auch, dass Erika endlich Gewissheit haben musste. Sie konnte nachfühlen, was in ihrer Freundin vorging.
Gegen Ende der Nacht machten sie sich auf zum Hafen. Julie hatte Hedam, den krummbeinigen alten Haussklaven, angewiesen, sie zu begleiten. Um diese Uhrzeit gab es keine Mietdroschken, und für zwei Frauen bei tiefster Dunkelheit durch die Straßen zu laufen, war einfach zu gefährlich. Und auch wenn Hedam nicht wirklich als Beschützer geeignet war, konnte sie sich auf seine Verschwiegenheit verlassen. Julie war zum ersten Mal richtig froh, dass Sklaven keine Fragen stellen durften. Hedam folgte den Frauen ergeben durch die dunklen Straßen bis zu einem Boot im letzten Winkel des Kais. Eine kleine Lampe baumelte an Deck und erhellte die hölzerne Stiege, die auf das Boot führte.
»Hier!« Julie drücke Erika einen kleinen Beutel mit Münzen in die Hand. »Für die Fahrt und für alles, was noch nötig sein könnte!«
Erika blickte zögerlich auf die Gabe. Julie wusste, dass es ihrer Freundin schwerfiel, das
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