Im Land der Orangenbluten
lächelte Erika zaghaft. »Juliette! Was machen Sie hier am Hafen? Erwarten Sie jemanden?«
Nun war es Julie, deren Blick sich kurz umflorte. »Nein, nicht direkt«, wich sie aus. In diesem Moment kamen die Boote mit der Schiffsbesatzung an. »Laufen Sie nicht weg, Erika, ich bin gleich wieder da!«
Julie ging schnell hinüber zu den Männern. Der Kapitän der Justine war ein kleiner, vollbärtiger Mann in einer zerschlissenen Uniform. Er antwortete mit einem knappen »Nein« auf Julies Frage, ob er sich an einen bestimmten Passagier erinnern könne, dessen Aussehen sie ihm kurz schilderte. Julie hatte es eigentlich nicht anders erwartet, trotzdem war sie zutiefst enttäuscht. Niedergeschlagen ging sie zu Erika zurück, die im Schatten unter einem Baum wartete.
»Sie sehen aus, als hätten Sie gerade keine gute Nachricht bekommen ...«
Julies Herz erwärmte sich an Erikas mitfühlendem Blick. So lange hatten sie sich nicht gesehen, und trotzdem war eine Nähe zwischen ihnen spürbar.
»Erika, hätten Sie Lust ... Ich meine, ich weiß ja nicht, ob Sie Zeit hätten, aber ... Wir könnten auf einen Kaffee zu mir gehen.«
Erika schien kurz zu überlegen, bevor sie zustimmte. Julie freute sich. Schnell winkte sie eine Mietdroschke heran, und kurz darauf servierte Foni den beiden Frauen im Stadthaus der Plantage Rozenburg bereits dampfenden Kaffee und süßes Gebäck.
»Ich bin erst seit kurzem wieder in der Stadt. Mein Mann Karl ... es gab einen Unfall.« Es war, als breche ein Damm. Julie konnte nicht anders. Sie redete sich die ganze Last der letzten Jahre von der Seele. Angefangen bei der unglückseligen Hochzeit über Karls Unfall bis hin zur aktuellen Situation, in der Pieter sich die Plantage angeeignet hatte und ihr sogar den Sohn entzog.
Erika hörte Julie schweigend zu und nickte ab und an mitfühlend. Dann berichtete sie ebenfalls, wie es ihr in diesem Land ergangen war. An ihrem Gesichtsausdruck konnte Julie ablesen, dass es wohl viele Ereignisse gab, die weit über das hinausgingen, was Erika in Worte fasste. Julie wusste nur zu gut, wie es war, einen Sack unliebsamer Erinnerungen mit sich herumzuschleppen.
Wenige Tage später lud Erika Julie zu sich in die Missionsstation ein. Es versetzte Julie einen schmerzhaften Stich, den kleinen Reiner so sorglos mit den anderen Kindern spielen zu sehen. Sie vermisste Henry sehr und hatte ein schlechtes Gewissen, ihn auf der Plantage zurückgelassen zu haben. Schnell verscheuchte sie die dunklen Gedanken. Sie musste hier sein, gerade seinetwillen. Sie konnte Pieter die Plantage nicht kampflos überlassen, sie musste etwas unternehmen – und dazu musste sie Jean finden. Wäre sie in dieser Stadt doch nur nicht so zur Untätigkeit verdammt! Sie hatte keine Ahnung, wo sie noch suchen sollte – nichts, aber auch gar nichts ließ darauf schließen, wohin Jean gegangen war.
Erika schienen ähnliche Gedanken umherzutreiben. Julie spürte, wie sehr Erika die Unwissenheit über den Verbleib ihres Mannes belastete.
»Und wenn du versuchst, so dorthin zu kommen ... ich meine ... ohne Passierschein?« Die intensiven Gespräche hatten das zarte Freundschaftsband zwischen ihnen verstärkt, mittlerweile hatte Julie ihrer Freundin das Du angeboten. Nun saßen sie auf einer Bank im Hof der Missionsstation und beobachteten die Kinder. Reiner tollte mit zwei schwarzen Jungen um einen Baum herum. Hanni saß auf Erikas Schoß und war eingeschlafen. Julie war aufgefallen, wie distanziert Erika sich dem Kind gegenüber verhielt. Und natürlich war ihr noch etwas aufgefallen – wenn Erikas Mann bereits so lange verschollen war, konnte Hanni nicht von ihm sein. Sie hütete sich aber zu fragen. Entweder würde Erika ihr irgendwann vertrauen und darüber sprechen oder eben nicht. Julie wollte ihre junge Freundschaft nicht mit neugierigen Fragen belasten. »Das Schlimmste was passieren könnte wäre doch, dass sie dich unverrichteter Dinge wieder zurückschicken.«
»Aber wenn ich nach ... du weißt schon komme«, Erika flüsterte. Sie vermied es, in der Station von Batavia zu sprechen, denn wenn Klara davon Wind bekam, dass sie immer noch mit dem Gedanken spielte ... »vielleicht käme ich dort nicht mehr weg. Ich weiß nicht, wie das da gehandhabt wird.«
»Ach, die können dich da ja nicht gefangen halten.« Julie wusste zwar nicht viel über Batavia, aber so weit würde man doch wohl nicht gehen. »Erika, es ist eine Krankenstation und kein Gefängnislager.«
»Eben drum.
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