Im Land der Orangenbluten
Mädchen das Haar. »Ich komme in ein paar Stunden wieder, bis dahin sollte es deiner Mutter besser gehen.«
Julie blieb verdattert im Raum stehen. Als sie in die großen braunen Kulleraugen des Mädchens sah, das sie hoffnungsvoll anblickte, straffte sie sich. Sie würde hierbleiben. »Komm her und setzt dich zu deiner Mutter, das ist gut für sie«, sagte sie freundlich.
Gleich nahm das Kind wieder die Hand seiner Mutter zwischen die kleinen Hände. »Sie wird doch wieder gesund, oder?«, fragte sie ängstlich.
Julie nickte. Sie hoffte es, vermochte es dem Kind aber nicht zu versprechen. Sie war nicht so optimistisch wie Klara, zu viele Menschen schienen in diesem Land am Fieber dahinzusiechen.
Sie setzte sich auf einen Stuhl in der Zimmerecke und betrachtete still die Frau im Bett. Suzanna war immer noch schön, obwohl ihre Wangen eingefallen waren. Julie erinnerte sich an ihre fein geschnittenen Züge. Aber sie hatte sie nur einmal kurz gesehen. Ob Suzanna sie erkennen würde? Kannte sie Julie überhaupt? Sie waren ja lediglich aus Versehen zusammengestoßen, als Julie ... aber ob sie wusste, wer sie war? Karl hatte ihr doch bestimmt nicht von ihr erzählt?
Dann besann sie sich auf das Mädchen. Julie zog ihren Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. »Sagst du mir deinen Namen, Kleine?«
Das Mädchen sah sie schüchtern an. »Minou. Ich heiße Minou.«
»Und, Minou«, Julie konnte es sich nicht verkneifen, danach zu fragen, »wo ist denn dein Vater?«
Das Mädchen sah betroffen auf seine Hände, dann kurz zu seiner Mutter und zuckte mit den Achseln. »Der ist schon seit Monaten nicht gekommen. Mama ... Mama sagt, er wird wohl auch nicht wiederkommen.«
»Hast du noch Geschwister, Minou?«
Jetzt lächelte das Mädchen kurz und nickte. »O ja! Einen großen Bruder habe ich. Wico.«
»Und wo ist dein großer Bruder?«
Wieder zuckte das Mädchen mit den Achseln. »Als Vater nicht mehr kam ... Wico sagte, er muss nun Geld verdienen und ist fortgegangen. Irgendwohin.«
Julies Magen krampfte sich zusammen. Hatte sie diesen Kindern womöglich den Vater genommen, dieser Frau den Mann? Karl war ein Tyrann gewesen, daheim auf Rozenburg, aber im Grunde wusste sie nichts über sein zweites Leben in der Stadt, welches er so konsequent geführt hatte, trotz seiner Ehe mit ihr.
Klara kam einige Stunden später wieder. Sie untersuchte die Kranke und blickte dann zufrieden auf. »Das Fieber scheint zu sinken.«
Julie war erleichtert. Sie hatte sich die ganze Zeit Gedanken gemacht, was passieren würde, wenn Minou und Wico jetzt auch noch die Mutter verloren.
»Wir kommen morgen wieder«, Klara packte ihre Tasche zusammen, »du musst deiner Mutter so oft wie möglich das kalte Tuch auf der Stirn frisch machen, hörst du?«
Minou nickte eifrig.
»Gut! Und wenn sie wach wird, muss sie viel trinken!«
Julie warf im Gehen noch einen besorgten Blick auf Minou und Suzanna. »Bis morgen, Minou!«, sagte sie leise und folgte Klara aus dem Haus.
Nachdem sie die Mietdroschke bestiegen hatte, gab Klara ein verächtliches Prusten von sich.
»Sehen Sie – da haben wir es wieder. Da lassen sich die Frauen von weißen Männern aushalten, und wenn sie wirklich Hilfe brauchen, machen sie sich aus dem Staub.«
Julie sah Klara verwundert an. Solche Ausbrüche waren Klara eigentlich nicht zu eigen. »Woher wollen Sie wissen, dass diese Frau sich von einem Weißen aushalten lässt?«, fragte sie neugierig.
»Ach, Juliette, ich kenne die Gegend hier, die Kinder werden immer heller, das können Sie mir glauben. Und der Vater von der Kleinen, der sitzt bestimmt gerade brav bei seiner weißen Familie. Diese Ehebrecher!«
Klara mochte noch so resolut sein, sie war immer noch eine Missionsschwester. Dass der freizügige Lebenswandel unter den Kolonisten ihre Abscheu schürte, konnte Julie verstehen.
Julies Gefühlswelt war völlig aus den Fugen geraten. Im Stadthaus angekommen fand sie keine Ruhe, ihre Gedanken schwirrten wild umher. Ja, sie hatte Karl einmal dafür gehasst, dass er eine Beziehung zu einer anderen Frau hegte. Später aber war sie sogar froh darüber gewesen, denn er hatte sie dadurch immer seltener behelligt. Seit seinem Tod versuchte sie so wenig wie möglich an ihn zu denken. Und nun kam die Erinnerung mit voller Wucht zurück. Jetzt musste sie sich zwangsweise noch einmal mit Karls Vergangenheit auseinandersetzen. Sie brachte es nicht übers Herz, Minou und die kranke Suzanna ihrem Schicksal zu
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