Im Land der Orangenbluten
Missionsstation. Sie wollte kein Aufsehen erwecken, also setzte sie sich auf die kleine Bank im Hof und wartete auf das Morgengrauen. Während die Sonne über den Dächern der Stadt aufging, regte sich als Erste in der Mission Dodo. Als sie schlaftrunken über den Hof zum Brunnen lief und Erika auf der Bank entdeckte, riss sie die Arme hoch. Erika konnte ihr gerade noch deuten, still zu sein. Hastig kam Dodo auf sie zugelaufen, wedelte wild mit den Armen und schien sich ehrlich zu freuen, Erika wiederzusehen. »Misi Erika! Misi Erika, wie schön! Kinder werden sich freuen. Misi Erika Hunger? Ich mache gleich Frühstück«, flüsterte sie aufgeregt.
Erika war das aufgeregte Geflatter der Sklavin nach ihrer mehr als ruhigen Rückfahrt fast ein bisschen zu viel. Aber dies hier war das Leben, ihr Leben, und dazu gehörten nun einmal Bewegungen und Gefühle. »Gern Dodo, ja, ich möchte bitte Frühstück.« Sie lächelte die Sklavin an und stand auf.
Wenig später tapste Reiner schlaftrunken in die Missionsküche. Als er seine Mutter sah, riss er die Augen auf. »Mama!«, rief er fröhlich und sprang in ihre ausgebreiteten Arme. »Mama, du bist wieder da! Wie war es auf dem Fluss?« Aufgeregt stellte er eine Frage nach der anderen, während er sich auf Erikas Schoß an sie kuschelte.
Kurz darauf erschien Klara mit Hanni ebenfalls in der Küche. Auch sie freute sich, dass Erika sicher angekommen war. Erika strich ihrer Tochter kurz über die Wange, aber Hannis Äuglein suchten nur nach Klara, die ihr sogleich Brei auf einem Löffel reichte.
Erika seufzte leise. Sie würde sich mehr um das kleine Mädchen kümmern müssen. So einfach es war, das Kind bei Klara abzugeben und so liebevoll Klara sich auch kümmerte – Hanni war ihre Tochter. Erika würde sich daran gewöhnen müssen, Hanni konnte schließlich nichts für ihre Herkunft. Und wenn es nach Erika ging, würde sie davon auch nie erfahren.
Als Erika nun so dasaß, Reiner auf dem Schoß und das emsige Treiben von Dodo und Klara um sich herum, fühlte sie sich plötzlich zufrieden. Eigentlich war es doch gar nicht so schlecht hier in diesem Land! Europa war fern und ihr inzwischen auch fremd geworden. Ihre Heimat war jetzt hier, und sie würde sich und den Kindern ein Zuhause schaffen.
Kapitel 6
Am nächsten Morgen holte Klara Julie auf dem Weg zu Suzanna mit der Droschke ab. »Erika ist wieder da«, beschied sie Julie ziemlich emotionslos und in Gedanken wohl schon bei der Kranken. »Oh.« Julie war einen kurzen Moment hin und her gerissen. Sie brannte darauf, Erika wiederzusehen und zu hören, wie es ihr auf ihrer Reise ergangen war, ob sie ihren Mann gefunden und vielleicht sogar mitgebracht hatte. Andererseits ... andererseits bedeutetet das für sie, allmählich an eine Rückreise nach Rozenburg zu denken. Sie war jetzt seit über vier Wochen fort. Das wiederum bedeutete Abschied von dem Gedanken, Jean zu finden. Und damit waren sämtliche Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft auf Rozenburg, ohne Pieter, zunichte. Julie verdrängte den Gedanken. Jetzt fuhren sie erst einmal zu Suzanna.
Als sie dort ankamen, fanden sie Suzanna noch sehr geschwächt vor, aber das Fieber war deutlich gesunken. Julie hielt sich etwas im Hintergrund, als Klara Suzanna untersuchte und ihr noch einmal frische Wickel bereitete.
Minou saß auf der Bettkante bei ihrer Mutter. Julie sah dem Kind an, dass es übermüdet war. »Hast du schon was gegessen, Minou?«
Die Kleine schüttelte den Kopf. »Nein, ich wollte bei meiner Mutter bleiben.«
Das Mädchen rührte Julies Herz. »Na, komm, wir schauen mal, ob wir etwas zu essen für dich finden. Deine Mutter wird im Moment gut betreut.«
Julie nahm die Hand des Mädchens und führte es in die untere Etage. In der kleinen sauberen Küche fanden sich nicht viele Nahrungsmittel, mit denen Julie etwas hätte anfangen können. Seit sie in diesem Land war, überhaupt seit sie das Internat mit dem wenigen Hauswirtschaftsunterricht verlassen hatte, hatte sie nicht mehr kochen müssen. Etwas ratlos sah sie sich um, entdeckte dann aber einen Korb mit Bananen. Davon gab sie Minou gleich zwei in die Hand.
Sie schaute sich weiter um, aber bis auf ein Stück Brot, welches schon mit Schimmel behaftet war, gab es in diesem Haus nichts zu essen. Julie beschlich ein Verdacht. »Wie lange ist deine Mutter schon krank?«
Minou kaute mit vollen Wangen und überlegte. »Zwei Wochen, Misi«, sagte sie schließlich.
Julie seufzte. Also hatte die
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