Im Land der Orangenbluten
die Wachstation nicht mehr zu sehen war, atmete Julie auf.
»Puh, das war knapp.« Auch Jean machte einen erleichterten Eindruck. »Er hätte uns auch anzeigen können, obwohl es ein paar Krümel waren.«
Wico grinste und schüttelte den Kopf. »Jean, deine Idee ist genial! Trotzdem, schade um das verlorene Gold.«
»Wir mussten den Kerl doch was finden lassen. Und hätte er Julie nicht durchsucht, dann hätten wir auch das noch mitgenommen. Aber so«, er klopfte mit der flachen Hand auf die Hühnerkäfige, »so haben wir es doch sicher an ihm vorbeigebracht.«
»Schade nur«, bemerkte Julie jetzt, »dass die Hühner dafür ihr Leben lassen müssen.« Das war für sie der einzige Haken an der Geschichte.
»Ach, die würden so oder so in der Suppe landen. Sei froh, dass der alte Gorven gerade welche übrig hatte und ich sie ihm abkaufen konnte.« Jean imitierte noch einmal seinen Auftritt vor dem alten Mann: »Na, komm, drei der Hennen, sei nicht so! Ich will ein Fest geben, wenn ich wieder in der Stadt bin, und deine Hühner sind einfach die besten.«
Gorven hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit einer kleinen Hühnerzucht hinter seiner Hütte sein mageres Auskommen in den Goldlagern aufzubessern. Zwar vermehrten sich die Tiere nicht so zahlreich wie in der Stadt, aber hier und da ein Hühnchen in der Suppe oder über dem Feuer, das ließen sich die ausgehungerten Goldsucher schon mal etwas kosten.
Als Jean gleich drei kaufen wollte, hatte Gorven allerdings gemurrt. »Lass den anderen auch noch was übrig. Bis die Kleinen so weit sind, dass man sie essen kann, das dauert noch. Und das sind meine letzten.«
Gottlob hatte Julie noch ein paar Münzen zurückbehalten, die Jean Gorven jetzt geben konnte. Und so hatte Jean einen Tag zuvor morgens mit den drei Hühnern vor der Hütte gestanden. Julie war müde gewesen. Die halbe Nacht hatte sie Jeans Goldausbeute in Maiskörner gestopft, die sie dann am morgen nach und nach an die Hennen verfüttert hatte. Diese freuten sich sichtlich über das üppige Mal. Julie hoffte nur, dass sie nicht gleich tot umfielen, wenn ...
Aber bis jetzt machten die Vögel einen munteren Eindruck. Sie hatten das Gold sicher am Wachposten vorbeigebracht. In wenigen Tagen würden sie wieder in der Stadt sein und dann, dann würde alles gut werden, da war Julie sich sicher.
Waar rook is, is ook vuur
Wo Rauch ist, ist auch Feuer
Surinam 1862
Paramaribo, Plantage Rozenburg,
Buschnegerdorf
Kapitel 1
»Das ist unglaublich!« Erika kam in die Krankenstation gerannt und wedelte mit einer Zeitung.
»Klara! Klara, wo steckst du?«, rief sie atemlos.
Die Krankenschwester steckte den Kopf aus einem der Zimmer. »Was schreist du denn so, Erika?«
Erika ging schnellen Schrittes auf sie zu. »Hier, schau nur! Sie haben es jetzt offiziell verkündet!«, sagte sie fröhlich und deutete auf die Zeitung.
»Was?« Klaras Stimme war die Ungeduld deutlich anzuhören.
Erika holte tief Luft, bevor sie herausplatzte: »Na ... dass die Sklaverei aufgehoben wird!«
Klara blickte ihre Mitarbeiterin ungläubig an. »Was? Das glaube ich nicht! Zeig her.« Klara nahm Erika die Zeitung aus der Hand und überflog die Zeilen. Sie starrte Erika mit großen Augen an und rief dann durch den Flur: »Dodo, Minna, Jakob, kommt sofort alle her!«
Schnell versammelten sich alle Mitarbeiter und Sklaven in der Krankenstation, selbst die drei Patienten richteten sich neugierig in ihren Betten auf.
Klara baute sich vor der Versammlung auf und sagte ernst: »Hört alle gut zu. Was ich euch jetzt vorlese, ist wichtig!«
Sie holte tief Luft und begann zu lesen: »Bekanntmachung des Gouverneurs. An die Sklavenbevölkerung der Kolonie Surinam!
Seine Majestät, unser ehrerbietiger König, hat verfügt, dass die Sklaverei in der Kolonie Surinam mit dem 1. Juli 1863 für allezeit abgeschafft wird. Von diesem Tag an seid ihr frei!
Der König wünscht, dass jeder, der unter seinem väterlichen Schutz lebt, die Zeit bis zu diesem sehnlichst erwarteten Termin ruhig und freudig verlebt.
Ich blicke nun zuversichtlich auf den Juli 1863 und hoffe, dass ihr euch bis dahin durch eure Lust an der Arbeit und euren Gehorsam dem Segen des Königs als würdig erweist.
Ebenso erwarte ich, dass ihr nach dem Tage eurer Befreiung eure Pflichten als freier Mensch ausübt und euch dem Vorstand der UWC unterordnet. Ihr werdet regelmäßig zu einem fairen Lohn arbeiten und damit euch und eure Familien ernähren können.
Ich freue mich, im
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