Im Land der Orangenbluten
besser, wenn sie alle hier in der Stadt blieben. Dieser Mann hatte einen verrückten Glanz in den Augen ...
Kapitel 2
Julies Mitleid mit den gefiederten Mitreisenden nahm von Tag zu Tag ab. Die Hühner gackerten unentwegt, flatterten nervös herum und rochen auch nicht besonders gut. Wären diese Tiere nicht eine so wertvolle Fracht gewesen, hätte sie sie am liebsten im Fluss versenkt. So aber trug sie sie brav an den Wasserfällen vorbei, fütterte sie ab und an mit Blättern, die sie von Büschen rupfte, und beobachtete akribisch ihre Hinterlassenschaften in den kleinen Käfigen.
»Da passiert nichts«, sagte Jean ihr ein ums andere Mal. »Das Gold ist so schwer, dass es in den Tieren bleibt. Darum muss man sie dann ja auch ...«
Genau an dieser Stelle ihrer Unterhaltung verzog Julie immer das Gesicht. »Ja, ist ja gut, ich weiß, welches Schicksal ihnen droht.«
Sie kamen gut voran, und schließlich näherten sie sich endlich der ersten Plantage. Die Familie Fredenburg hatte Julie bereits auf der Hinreise freundlich aufgenommen und sie jubilierte innerlich. Ein Bett! Wasser aus einer Schüssel! Seife! Julie freute sich auf den Komfort der Zivilisation. Nun allerdings schaute die Frau des Hauses etwas pikiert, als Julie schmutzig wie ein Waldarbeiter und zudem noch in Stiefeln auf ihrer Veranda stand. Sie hatte außerdem offensichtlich drei schwarze Burschen gegen einen abgerissenen Weißen eingetauscht, der in seiner speckigen Goldgräberkluft ebenfalls keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck machte. »Die jungen Männer können bei den Aufsehern schlafen«, beschied sie Julie schließlich mit gerümpfter Nase.
Julie hätte zu gerne die Nacht mit Jean verbracht. Aber darauf musste sie noch eine Weile warten. Es gehörte sich einfach nicht als unverheiratetes Paar.
Am Abend gelang es ihnen dennoch, sich von ihren Gastgebern unbemerkt am Fluss zu treffen. Arm in Arm schlenderten sie am Ufer entlang.
»Und du meinst wirklich, dass das Gold für einen Neuanfang reicht?«
»Natürlich. Zumal es im Moment viele Plantagen zu wirklich günstigen Konditionen gibt. So viele geben auf.« Jeans Augen funkelten. Er schien sich an den Gedanken, bald Herr über eigene Ländereien zu sein, wirklich zu freuen.
»Aber die geben doch nicht ohne Grund auf«, gab Julie zu bedenken.
»Ja, weil sie einfach unzeitgemäß wirtschaften. Ich hatte als Buchhalter lange genug damit zu tun. Sie verprassen ihr Geld, anstatt es in die eigene Plantage zu investieren. Das war vielleicht vor fünfzig oder hundert Jahren noch kein Problem, als dieses Land noch im Geld schwamm.« Er blieb stehen und sah Julie tief in die Augen. »Aber hier ändert sich alles, und ich fände es wunderbar, wenn wir beide mit unserem Neubeginn auch in diesem Land neue Seiten aufziehen könnten.«
Julie wurde ganz warm ums Herz. Sie hatte so große Angst gehabt, dass Jean sie nicht mehr wollte, dass er gegangen war, weil ... Aber sie hatte sich geirrt: Er liebte sie immer noch, und er wollte die Zukunft mit ihr verbringen!
Je näher sie allerdings der Stadt kamen, desto mulmiger wurde Julie, desto mehr drängten sich die Probleme in den Vordergrund. Würde Pieter sie ohne Weiteres freigeben? Jean war der Meinung, dass Pieter mitspielen würde, wenn man ihm Rozenburg überließ und keine Forderungen an ihn stellte. Schließlich war es das, was er immer gewollt hatte. Julie war sich da nicht so sicher. Theoretisch klang es durchaus einfach, praktisch aber spielten in Julies Kopf Hunderte von anderen Dingen eine Rolle. In Rozenburg steckte ihr Erbe, das Erbe ihrer Eltern – sollte sie das Pieter kampflos überlassen? Und dann die vielen Menschen, die auf der Plantage lebten, die Sklaven und die Kinder. Julie wurde schwer ums Herz, wenn sie daran dachte, dass sie diese Leute in Pieters Gewalt lassen musste. Und überhaupt ... je näher sie der Stadt kamen, desto stärker wurde ihr bewusst, wie sehr sie an der Plantage hing. Es war trotz allem auch ihr Zuhause geworden.
Sie teilte Jean ihre Bedenken nicht mit, sie wollte das neu gewonnene Glück nicht gleich wieder belasten. Er freute sich so auf die gemeinsame Zukunft und nutzte die langen Stunden auf dem Boot, um mit Wico über zeitgemäße Plantagenbewirtschaftung zu sprechen. Er bot ihm sogar gleich eine Stelle an, als »Organisator«, wie er es nannte, das Wort Aufseher war in seinen Augen zu brutal. Jean wollte eine Plantage aufbauen, auf der es keine Sklaven gab, sondern Arbeiter, die auf keinen
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