Im Land der Orangenbluten
Fall unter Missständen zu leiden hatten. »Nur gesunde, zufriedene Menschen arbeiten gut«, sinnierte er.
Wico nickte. Er überraschte Jean und Julie während der Reise immer wieder mit seinem umfassenden Wissen. Auf Julies Frage, woher er all die Informationen habe, da er doch nie eine Schule besucht habe, hatte er »Ich kann gut zuhören« geantwortet und ihr zugezwinkert.
»Und deine Mutter und deine Schwester können auch gleich mit auf unsere neue Plantage«, hatte Jean ihm begeistert vorgeschlagen. »Julie braucht Hilfe im Haushalt, und da ihre Kiri ja erst einmal etwas Zeit für sich und ihr Baby brauchen wird, können wir jede helfende Hand gebrauchen.«
Kiri! Julie hoffte, dass es ihr gut ging. Und Henry ... sie hatte ihn jetzt monatelang allein gelassen. Das schlechte Gewissen brach wie eine Welle über sie herein, und sie brach in Tränen aus.
»Julie, alles in Ordnung?« Jean konnte sie von seinem Platz aus über die Hühnerkäfige während der Fahrt nicht erreichen. Er betrachtete sie besorgt.
»Ja, alles gut. Es ist nur ... ach, nichts.«
Alle waren froh, als sie Paramaribo endlich am Nachmittag des 10. August 1862 erreichten. Wico verabschiedete sich schnell und eilte zum Haus seiner Mutter. Jean und Julie machten sich zu Fuß, die Hühnerkäfige und ihr weniges Gepäck unterm Arm, auf den Weg Stadthaus. Das war eine weite Strecke, aber trotz der Erschöpfung war Julie froh, ihre Füße und Beine endlich einmal wieder für längere Zeit bewegen zu können. Die neugierigen Blicke vieler Passanten auf das wunderliche Paar mit dem noch wunderlicheren Gepäck bemerkten sie kaum.
Am Stadthaus angekommen, stellte Julie das gackernde Federvieh auf der schmalen Veranda ab. Erstaunt beobachtete sie, wie Hedam und nicht Foni die Tür öffnete. »Misi Juliette, gut, dass Sie zurück sind!«
Der Gesichtsausdruck des alten Sklaven ließ Julie alle Erschöpfung der Reise sofort vergessen. »Hedam, was ist los? Wo ist Foni?«
»Oh, Misi! Foni ist bei Kiri. Kiri ...«, stotterte der alte Mann.
»Kiri? Kiri ist hier? Wieso das, warum ist sie nicht auf der Plantage? Was ist denn, geht es ihr gut?« Sie verstand nicht, was hier vor sich ging. Dann kam ihr ein Gedanke. »Das Kind ... Kommt das Kind?«
Julie rauschte ins Haus, ohne seine Antwort abzuwarten, und ließ Hedam und Jean verdutzt zurück. Sie wollte gleich wieder durch den Hintereingang zum Hof hinaus, wo sich die Sklavenunterkünfte befanden, blieb aber vor der Tür des Salons stutzig stehen. Dort auf dem Boden saß Henry auf seiner Krabbeldecke. Er saß! Meine Güte, war denn so viel Zeit vergangen? Wie groß er geworden war! Sie stürzte auf das Kind zu.
»Henry!« Der kleine Junge blickte sie verwirrt an. »O Henry ... dass du hier bist ...« Sie hob ihren Sohn hoch und drückte ihn an sich. Und schwer war er geworden! Jetzt betrachtete er sie aufmerksam mit seinen großen Kulleraugen und fasste mit seinen kleinen Fingern nach ihren Haaren. Julie musste lachen, Tränen des Glücks rannen über ihre Wangen. Dann besann sie sich auf Jean. »Jean? Jean!«
Jean war ihr ins Haus gefolgt und blieb nun im Türrahmen stehen. Als er Julie mit ihrem Sohn, mit seinem Sohn dort stehen sah, traten auch ihm Tränen in die Augen. Henry wandte ihm den Kopf zu und streckte gleich seine kleinen Ärmchen nach ihm aus, während er ein zufriedenes Glucksen von sich gab.
»Schau nur, ich glaube, er mag dich.« Julie lächelte liebevoll.
»Misi Juliette!« Liv trat mit Martin auf dem Arm an Jean vorbei durch die Tür. »Misi Juliette! Gut, dass Sie da sind.«
Julie betrachtete sie ungläubig. »Liv? Seid ihr etwa alle hier? Was um Himmels willen ist denn los?«
Liv hatte keine Zeit für lange Erklärungen. »Misi Juliette, wir sind mit Misi Martina hier, aber Kiri ... seit heute Nacht. Das war alles wohl ein bisschen anstrengend für sie, das Baby ... es kommt ein bisschen zu früh.«
Julie besann sich darauf, dass sie zu Kiri hatte laufen wollen. »Hier. Ihr solltet euch kennenlernen.« Sie drückte Jean den kleinen Henry in den Arm, der das Kind einen Moment anschaute wie ein besonders zerbrechliches Stück Porzellan. »Ich muss nach Kiri sehen!« Mit diesen Worten schritt sie durch den Hintereingang hinaus.
Als Julie in das kleine dunkle Zimmer im Hinterhof in einer der Sklavenhütten kam, welches Kiri während der Aufenthalte in der Stadt schon immer als Unterkunft gedient hatte, blickte Julie zunächst in die überraschten Gesichter von Foni und
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