Im Land der Regenbogenschlange
losgeht. Hurra, ich darf das längst Bestellte, längst Bezahlte abholen und davontragen.
Vor Tagen sah ich im Fernsehen einen Bericht über Cafés und Restaurants in den 70er Jahren, hier in Australien. Dicke Decken lagen auf den Tischen, dicke Stoffe hingen an den Wänden, so genannte »Lärmschlucker«. Ganz im Sinne des Werbespruchs, der Gäste locken sollte: »Sie wollen es ruhig, um intime Gespräche führen zu können!« Klingt das nicht wie ein Märchen?
DrauÃen auf der Terrasse wird alles gut, die Sonne ist da, der Aschenbecher, das attraktive Melbourne. Und die pure Freude stellt sich ein, ach, ein Jauchzen und Frohlocken. Denn ich entdecke einmal mehr besten australischen Journalismus, gespickt mit grimmigem Humor, mit der Fähigkeit, jede heilige Kuh umzulegen und eiskalt alle Heiligkeiten zu hinterfragen. Ich finde einen Artikel mit der Ãberschrift »Widespread sex drought«. Die Verfasserin zieht Parallelen zwischen der klimatisch verursachten Dürre auf dem Kontinent und der erotischen Trockenperiode, die laut zitierter Umfragen in hiesigen Betten ausgebrochen ist, genauer, in hiesigen Ehebetten. Als erster Lustkiller â na ja, eine Weltneuheit ist die Nachricht nicht â wird das Ehebett identifiziert und die damit verbundene »schreckliche Angewohnheit, sich jede Nacht dort mit derselben Person zu verabreden« (ist das nicht toll formuliert?). Als zweites Sedativum wirkt die Lust am Geldverdienen. Damit noch mehr Scheine auf der Bank liegen und noch weniger Sex ausbricht, Gatte und Gattin tatsächlich die Terminkalender durchblättern müssen, um sich an ihre letzte Intimität zu erinnern. Und die nächste zu vereinbaren.
Erfreulicherweise schrieb eine Frau den Essay. Somit fällt der Verdacht weg, hier agiere ein Mann, der ewige Stier, seinen Frust aus. Und die Autorin legt bis zur letzten Zeile nach, zieht über die Flut der Ehe-Ratgeber her, diese peinsamen Drucksachen eifernder Ehe-Therapeuten, die das Ehevolk mit Vorschlägen aus der Mottenkiste ihres armseligen Erotik- ABC s beflügeln wollen:
â Richten Sie Ihr Schlafzimmer neu ein!
â Treiben Sie es auf dem Kühlschrank!
â Besorgen Sie sich Duftkerzen!
â Sehen Sie verrucht aus!
â Kaufen Sie sich ein durchsichtiges Négligé!
â Legen Sie orientalische Musik auf!
Ad infinitum absurdum. Fazit der Schreiberin, die ganz offensichtlich über mehr Menschheitskenntnis und Weltwissen verfügt als die einschlägigen Experten: Kein String auf Erden wird erloschene Vulkane aufwecken, kein Supersonic-Bett den Sexdrive beschleunigen, kein Dildo mit ausfahrbarem Widerhaken die Lustfeuer wieder entfachen. Das Thema ist durch, die Lava verglüht, beide sollen sich nach neuen Brennpunkten umsehen, nach anderen Männern und Frauen, um ihre Leiber wieder mit Sehnsucht und Hingabe zu erhitzen.
Melbourne und der Outback sind die australischen Gegensätze. Die Metropole gilt als die geistige Hauptstadt des Landes. (Sydney als money capital und Canberra als politisches Zentrum.) Kein Wunder folglich, dass sie hier ein internationales Writers' Festival veranstalten. Mich verfolgt das Glück des Tüchtigen, ich komme rechtzeitig zum letzten Tag. Immerhin.
Das Ganze ähnelt ein wenig der Buchmesse in Leipzig, viele Lesungen, viele Reden und Gegenreden, viele Veranstaltungen mit vielen lästigen Fragen: Ob wir wirklich so infantil sind, dass wir es verdienen, rund um die Uhr mit News aus dem Nieten-Dasein einer Paris Hilton drangsaliert zu werden? Bekommen wir, was uns zusteht? Sind in einem Zeitalter, in dem »every man and his dog can have a blog«, Literatur-Kritiker noch nötig? (Ja!, so das begrüÃenswerte Ergebnis der Diskussion, denn zwischen »Oh, geiles Buch, Mann, musst du dir unbedingt reinziehen!« und den klugen Ausführungen eines Rezensenten liegen nicht Welten, aber möglicherweise brauchbare Argumente, um das eine Buch zu lesen und das andere unter den Ohrenbacken-Sessel zu schieben. Damit er aufhört zu wackeln.)
Eine Einladung heiÃt »I've seen it all in a small town«, in der drei Schriftsteller zu Wort kommen, die Romane über kleine Städte geschrieben haben. Einer von ihnen antwortet auf den Zwischenruf, dass dort doch nichts passiert: »Just look hard enough«, schau einfach genau hin! Das ist ein Imperativ auch für Schreiber, die lieber in groÃe Städte
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