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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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Aborigines können Aborigines retten. Verantwortung für sich übernehmen ist der erste Schritt in die Freiheit.
    Und da liegt die Krux. Pearson spricht von einem »teutonic (sic!) shift«, der nötig wäre, um die betonierte Vergangenheit in den Köpfen aufzubrechen. Er zitiert sogar seine Erfahrungen mit der jüdischen Gemeinde hier in Melbourne, von der er gelernt habe, dass man Opfer gewesen sein kann und trotzdem eines Tages imstande ist, die Opferrolle zu verlassen. Aber, und jetzt kommt der traurige Clou des Abends, ganz unerwartet und ganz anders als das typische Erfolgsgrinsen einschlägiger Sonntagsredner: Der Mann sieht schwarz, die »selbst verpasste Entmachtung« der Aborigines sei weit, vielleicht zu weit fort geschritten, um Anlass zu Optimismus zu geben.
    Noch ein Nachsatz. Kinder missbrauchen ist niederträchtig. Sei es körperliche Züchtigung, sei es sexuelle Nötigung. (Ich weiß, worüber ich gerade schreibe.) Wer will da widersprechen. Missbrauch ist immer eine Affäre von Feiglingen, die sich über Schwächere hermachen, um die eigene Schwäche zu vertuschen. Aber anthropologische Studien – und manche Forscher haben über lange Zeiträume mit ihnen gelebt – weisen nach, dass dieses Verhalten bei den Aborigines nicht »angeboren« ist, wie nimmermüde Hassbirnen zu verbreiten suchen. Sondern sich im Laufe der letzten Jahrzehnte einschlich. Als Folge eines Zusammenbruchs sozialer Codes, als Folge einer Geschichte, die sie zu Parias degradierte. Das entschuldigt nichts, rechtfertigt nichts. Es soll nur daran erinnern, dass wir Menschen sind, und dass wir alle, wenn es uns nur lange genug dreckig geht, weniger edel und gut auftreten, als wir gemeinhin zu sein glauben. Die Tatsache, dass innerhalb der schwarzen Bevölkerung enorme Anstrengungen unternommen werden – vor allem von Frauen, von Müttern –, um diesen Abstieg in einen infernalen Alltag zu bremsen, zeigt nur, wie komplex und widersprüchlich die Problematik ist.
    In Melbourne bin ich beschäftigt. Weil ich hier, wie seit Wochen geplant, nach Jacob G. Rosenberg suche. Jenem jüdischen Autor, von dem ich schon zu Beginn der Reise erfahren habe. Inzwischen kenne ich sein damals im Radio vorgestelltes Buch Sunrise West , sowie ein paar glänzende Kritiken darüber. Nichts wäre simpler, als im Telefonbuch nachzuschauen. Aber wir leben in misstrauischen Zeiten. Gestern berichtete die Presse einmal mehr über Skinheads, die in der Gegend gern »Juden jagen« (und verprügeln). Ich gehe nach Balaclava, dem jüdischen Viertel, frage im Rathaus, in Buchhandlungen, beim koscheren Metzger, Leute auf der Straße, recherchiere in der Gemeinde-Bibliothek und besuche das Jewish Museum of Australia . Viele haben von dem Schriftsteller gehört, aber keiner weiß, wo er wohnt.
    Obwohl in Eile, bleibe ich für eine Führung durch die Synagoge. Ein kalter, ungemütlicher Ort, innen und außen ohne architektonischen Reiz. Jemand fragt nach dem Wandschrank, in dem sie die Thora aufbewahren. Jüdische Überlieferungen, die religiösen, überliefern mir so wenig wie alle anderen Sprüche aus himmlischem Mund. Immer Behauptungen, nie Beweise. Wer sie glaubt, wird selig. Glaubt er. Schon Nietzsche fragte, warum die Christen, die beharrlich von »Erlösung« sprechen, nicht erlöster aussehen. Drei ältere Damen nehmen noch an dem Rundgang teil. Alle aus Israel. Ich kämpfe mit mir, zudem vergesse ich nicht, dass ich Deutscher bin. Aber ich frage, wohl provoziert von der »heiligen« Umgebung. Will wissen, wie das jüdische Volk – eingedenk seiner unerhörten Geschichte – an einen Gott glauben kann, der es auserwählt hat, es schützt, sich kümmert. Auserwählt zu was? Zum Geschlachtetwerden? Was für ein lieber psychopathischer Gott ist das? Kennt jemand eine Figur, die nachtragender ist, bluthungriger, lusthassender, mysogyner, homophober, rassistischer und größenwahnsinniger als jener im Alten Testament/in der Thora erfundene Gott? Wie viel Grausamkeit muss über Menschen kommen, damit sie loslassen von Ideen, die grundsätzlich an der Wirklichkeit scheitern? Etwa 14 Millionen Juden gibt es, verteilt auf viele Länder. Das macht 0,21 Prozent der Weltbevölkerung. Dafür sind 23 Prozent aller Nobelpreisträger jüdischer Herkunft. Mindestens ein Drittel der deutschen Literatur der

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