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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde von jüdischen Schriftstellern verfasst. Von ihren wissenschaftlichen Beiträgen nicht zu reden. All das spricht für eine außergewöhnliche Intelligenz, für ein außergewöhnliches Erkenntnisvermögen. Im Museum nebenan hing eine Notiz des (ungläubigen) Albert Einstein: »Das Streben nach Wissen um seiner selbst willen (...) und die Sehnsucht nach persönlicher Unabhängigkeit, das sind die Merkmale jüdischer Tradition, zu denen ich dankbar gehöre.« Offensichtlich haben die Gläubigen unter den 14 Millionen von den Zeilen noch nichts gehört. Sonst hätten sie ihre persönliche Unabhängigkeit nicht hergegeben für eine Schimäre hinter den sieben Milchstraßen.
    Aber mitten in der Frage höre ich auf, bin still. Weil ich denke, dass hier nicht der rechte Platz ist für sophistische Auseinandersetzungen. Zudem will ich das Trio nicht verstören, mein Einwand würde sie nur verletzen. Jede Aufklärung, jeder Aufbruch zu anderen (Denk)Ufern käme für sie zu spät. Als wir wieder hinaus in die Sonne treten, habe ich Kopfweh. Ich leide wohl physisch unter geistiger Enge.
    Weiter nach Jacob G. Rosenberg forschen. Mit Hilfe eines Redakteurs der Australian Jewish News erreiche ich seine Verlegerin, die von Sydney aus verspricht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Die Suchaktion zieht sich über eineinhalb Tage, dann halte ich seine Telefonnummer in Händen. Ich rufe ihn an, der Mann klingt beschwingt, er weiß bereits von meiner Bitte. Er schlägt ein Treffen für morgen Nachmittag vor. Mit Freude und Dankbarkeit hänge ich ein. Ich hätte mir nicht verziehen, wenn ich ohne ein Gespräch mit ihm hätte weiterziehen müssen.
    Ich gehe ins Old Melbourne Gaol , das alte, finster-feuchte Zuchthaus von Melbourne, wo insgesamt 135 Kriminelle exekutiert wurden. Heute kann man die Zellen besichtigen, die Totenmaske jedes Einzelnen, seine Geschichte nachlesen. Sogar ein Deutscher stieß hier seinen letzten Seufzer aus, ein gewisser Christian von See. Am 29. 11. 1858 begleitete ihn ein Pastor names Goethe (sic!) zum hauseigenen Galgen. Doch selbst das Rezitieren der letzten Gebete in der Muttersprache hat Herrn von See nicht davon abgehalten, sich in die Hose zu machen. Unanswered prayers , wie offensichtlich.
    Ganz anders der Mann, wegen dem allein die Besucher hierherkommen: Ned Kelly. Der berühmteste Ganove und Nationalheld des Kontinents. Hört man seinen Namen, weiß man nie genau, welche Empfindungen überwiegen. Bewunderung oder Abscheu? Mitgefühl oder Befriedigung? Er war ein Killer und Aufsässiger, Sohn eines (irischen) Immigranten, der die (englischen) Australier hasste, ein Pferdedieb und Bankräuber, der Lebensretter eines Kindes (das zu ertrinken drohte) und der Chef der Kelly-Gang , ein gut aussehender Hasardeur und (bisweilen) tätiger Robin Hood, dem sie hier in Melbourne – nach einem umstrittenen Prozess – am 28. Juni 1880 die Schlinge um den Hals legten.
    Nun, mit einem Gassenhauer auf den Lippen schlurfte der Verurteilte – Füße in Ketten – nicht zur Hinrichtungsstätte, aber er tat das, was ihm seine Mutter Ellen, ebenfalls hinter Gittern, befohlen hatte: »Die like a Kelly!« Überliefert ist sein legendärer (eine Legende?) Satz, sein letzter: »Such is life.« Ein herausforderndes Leben, bis zuletzt. Denn Aushilfshenker Mister Lipjohn, der wohl die Broschüre The Art of Hanging nicht gründlich genug studiert hatte, applizierte den Strick so schlampig, dass der 26-Jährige über vier Minuten lang in der Luft strampelte. Bis er endlich tot war, erwürgt, mit intaktem Genick. Hinterher wurde der Kopf abgeschnitten und die Schädeldecke aufgebohrt. Um das »Verbrecher-Gen« zu finden.
    Noch eine Fußnote. Im Hof der Anstalt stand labor in vain auf dem Programm, die damalige Vorstellung von Resozialisierung, frei übersetzt: vergebliche Müh'. Man ließ die Insassen antreten und forderte sie auf, volle Wasserkübel weiterzureichen, einer dem andern, stundenlang, tagsüber, ganzjährig. Mit dem Ziel, die Sträflinge zu »dekonstruieren«, ihnen das böse Gen auszutreiben. Um sie irgendwann – jetzt als willige, willenlose Jasager – wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
    Ich mache noch einen Umweg über die State Library , hier stellen sie die bizarre Ritterrüstung aus, die

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