Im Land der Regenbogenschlange
flüchten. Ein anderer liest ein Kapitel aus seinem Buch vor, in dem der Ausdruck »Department of lunacy« vorkommt. Auf Fragen des Publikums zu diesem bizarren Ausdruck anwortet der Autor, dass es bis 1983 im Staat North South Wales ein »Wahnsinns-Ministerium« gab, das für geistig Behinderte zuständig war. Um Politiker zu entlarven, genügt ein Blick auf ihre Sprache.
Im Freien stehen Büchertische um ein winziges Amphitheater, wo man lesen und zwischendurch in die Sonne blinzeln kann. Ich kaufe mir ein Buch und werde es die nächsten zwei Stunden nicht loslassen. Courage , geschrieben von Maria Tumarkin, einer jungen Frau, die vor knapp zwanzig Jahren Russland Richtung Melbourne verlieÃ. Das Buch ist deshalb so anrührend, weil es nicht von Helden, Titanen und anderen Göttern erzählt, die tollkühn und todesverachtend die Welt und den Himmel aufräumen, nicht schwärmt von den Leinwand-Recken, die uns die Botschaften cooler Grausamkeit und cooler Demütigung beibringen, nicht das hohe Lied jener singt, die als Abenteurer einbeinig und ohne Sonnenbrille vom Südpol zum Nordpol hüpfen, sondern eben von jener Eigenschaft spricht, die wir alle verdammt nötig haben. Von Anfang an, jeden Tag, bis ans Ende: So was wie Chuzpe, wie Beherztheit, wie Nerven, um uns gegen die täglichen Frechheiten, Ãbergriffe und Gleichgültigkeiten â uns gegenüber, anderen gegenüber â zu wehren. Um gegen die eigene Trägheit des Herzens, des Körpers zu kämpfen, diese feiste Sucht nach Komfort, diesen instinktiven Reflex, vor Konflikten davonzulaufen. Wer couragiert ist, der riskiert auch, so die 34-jährige Schriftstellerin, sich lächerlich zu machen, zuckt nicht davor zurück, seine Schwächen und Wundstellen preiszugeben. Zuletzt notiert sie: »Jeder von uns verspürt tief in sich diesen Hunger nach einem mutigen Leben.« Ja, ein mutigeres würde schon reichen.
Den Abschluss des Festivals bildet eine Rede von Noel Pearson, Rechtsanwalt und einer der führenden Aborigine-Intellektuellen in Australien. Die Frage, wie Schwarz und Weià produktiver und vorurteilsfreier miteinander leben können, war natürlich eines der bestimmenden Themen der letzten Woche. Der 43-Jährige ist bekannt für klare Worte. Kein Manövrierer, kein politischer Windbeutel, seine Meinungen sind auch im eigenen Lager umstritten. Ãber tausend Zuhörer sitzen in der Storey-Hall, das Interesse ist immens.
Das Zusammenleben von white und non white ist aber nur Nebenschauplatz der flammenden Rede. Im Juni 2007 kam der Bericht Little Children are Sacred heraus, der auf die katastrophalen Zustände in zahlreichen aborigine communities verwies. Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen, Glücksspiele, Pornografie, Gewalt untereinander, Gewalt gegenüber Kindern, sexueller Missbrauch. »Crisis levels« seien erreicht. Die Autoren des Reports appellierten an die Regierung, die Lösung der angesprochenen Probleme als »dringend und von nationaler Bedeutung« einzustufen.
Pearson bezeichnet sich selbst als »Ex-Linken«, der die Konservativen als »Faschisten« beschimpfte. Heute sieht er die Dinge anders, nennt die Linken die ewigen »Rechtfertiger« und befürwortet den Plan der Liberalen (den sogar die Labour Party unterstützt), mit drastischen MaÃnahmen der Katastrophe Herr zu werden. Die beiden umstrittensten Eingriffe: das permit system aufzuheben, sprich, die Aborigine-Gemeinden allen Besuchern zugänglich zu machen. Ohne permit , ohne offizielle Erlaubnis der lokalen Behörden. Damit käme mehr Ãffentlichkeit in diese Orte, weniger Heimlichkeit wäre möglich. Und zweitens, noch schneidender: Einen Teil der Sozialhilfe nicht auszuzahlen. Um mit der einbehaltenen Summe die Miete, die Lebensmittel und die nötige Schulausrüstung der Kinder zu finanzieren. Um somit zu verhindern, dass alles sofort versoffen und verspielt wird. Pearson meint, dass ein gedankenloses welfare system nichts als Unglück über sein Volk gebracht habe. Denn handouts , Almosen, erniedrigen den anderen, ersticken in ihm â erst recht, wenn das Ritual schon dreiÃig Jahre andauert â jede Eigeninitiative. (Ironischerweise heiÃt die vom Staat monatlich verteilte Hilfe in Australien sit-down money . Weil man sich nach dessen Erhalt hinsetzt. Und sitzen bleibt. Statt loszugehen und nach Möglichkeiten zu suchen.) Nur
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