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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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Schlafmütze zu wecken.
    Trouble is my middle name , die Prüfungen hören nicht auf. Die Schnarcheule will mich in einen Schlafsaal stecken (weiß einer Höllischeres?), obwohl ich einen single room gebucht habe. Man könne nicht nachschauen, so die Erklärung, welcher Raum frei sei, da der Computer nicht funktioniere. Ich werde noch grämlicher als vor zwanzig Minuten. Deprimiert schon der Anblick von Hässlichkeit, so haut einen die anschließende Begegnung mit Dummheit endgültig k. o. Folglich spreche ich ab sofort eine Spur gereizter. Das hilft. Die Pfeife hat den Mumm und öffnet behutsam ein Zimmer. Und siehe, es ward frei. Ich frage den Nachtwächter noch, warum niemand ans Telefon ging, als ich die ausdrücklich dafür vorgesehene Nummer wählte. Er:
    â€“ Der Computer ist kaputt.
    â€“ Aber ich habe doch ein Handy angerufen, völlig unabhängig
    von einem Computer.
    â€“ Das gleiche Problem, der Computer ist kaputt.
    Der Rest ist Schweigen, ich lege mich ins Bett. Der grölende Pöbel von der Straße, zwei Stock tiefer, erinnert mich daran, dass heute kein Glückstag zu Ende geht.
    Am nächsten Morgen ist alles anders. Sogar die Kotzflecken sind verschwunden. Melbourne, die Knapp-vier-Millionen-Hauptstadt des Staates Victoria, macht alles wahr, was ich von anderen in Form von Preisreden und Lobeshymnen gehört habe. Die Sonne strahlt und der erste Mensch, der mir um 8 Uhr 31 begegnet, sagt nicht »How is it going, mate?«, nein, er redet wie alle, die einen Grundkurs in Zivilisationskunde hinter sich haben, er sagt: »Good morning, sir, how are you?« So spricht der Kellner in dem Lokal, wo es ein Frühstück gibt. Und selbstverständlich antworte ich: »Thank you, I am fine.« Mir ist, als hielte ich ab sofort einen Garantieschein in Händen, dass ich die Tage in Melbourne wie eine Eroberung nach Hause tragen werde.
    Ich ziehe los, kein Ziel vor Augen, will nur wieder den Geruch einer Großstadt genießen, die Geräusche, die Kulisse für die Geräusche, das Quietschen der Trambahnen, die durch Häuserschluchten ziehen, die Vexierspiele auf den Glasfassaden der Wolkenkratzer, den sonnenhellen Lichtkegel zwischen zwei Häuserecken, durch den eine elegant gekleidete Frau eilt, die Fensterputzer in schwindelnder Höhe, die lässigen Kringel der Raucher im Gegenlicht, die auf Terrassen ihren ersten Kaffee trinken.
    Und irgendwann höre ich Musik, komme näher und sehe einen dünnen Mann mit einer spanischen Gitarre zwischen zwei Verstärkern stehen. Und flüchte instinktiv auf die andere Seite. Weil ich schon vor langer Zeit beschlossen habe, das Geklimper der Talentlosen nicht mehr auszuhalten. Aber ich drehe mittendrin um, mitten auf der Straße. Weil hier ein Talentierter aufspielt. Weil auch Santana sein Samba Pa Ti nicht besser interpretieren könnte. Ich kehre zurück, setze mich auf eine Bank und bin nur einer von vielen, die jetzt nicht weiterwollen, ohne dem Langhaarigen zuzuhören, der lässig entlang dem Hals seiner Gitarre zaubert. Leute hasten – und bleiben stehen. Eine ältere Dame im Rollstuhl fährt mit ihrem Hund heran und beide halten still und lauschen. Der Musiker redet nicht, keine Erklärung, kein Hinweis, kein Wort, kein Titel. Dafür Bésame mucho , zwei Stücke aus Vivaldis Vier Jahreszeiten , von den Stones die Schmelzkeule Angie , die Filmmusik aus Exodus , Stings The shape of my heart . Musik als Muttersprache.
    Ãœber eine halbe Stunde haben wir Zuhörer Gelegenheit, die kleinen Ohnmachten der Begeisterung zu erfahren. Wobei ein Schreiber nebenbei noch die Attacken der Missgunst ertragen muss. Weil der Dünne etwas kann, was niemand ȟbersetzen« muss. Emily Dickinson, die amerikanische Dichterin, notierte einmal: »Ein Wort kann dich überschwemmen, wenn es vom Meer kommt.« Sehr wahr, aber es überschwemmt den Leser erst, wenn er es versteht, wenn das Wort in einer Sprache auftaucht, die er kennt. Ganz anders mit Noten. Jeder, der jetzt an dem Alchemisten mit seinem Instrument vorbeikommt, erhält einen Trost, eine Sehnsucht, eine Erinnerung, einen Swing. Ohne dass ein einziges Wort fällt. Und würden die Vertreter aller fünftausend Sprachen zuhören, jeder würde »verstehen«. Auf seine Weise.
    Musik ist nur Musik, sie braucht nur sich. Sie hat keine Geschichte zu erzählen, keine Wahrheit zu verkünden, sie

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