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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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ist nie dumm, sie kann nicht lügen, auf mysteriöse Weise vermehrt sie jedermanns Glück. In Hochform holt sie uns zurück in einen Zustand, der uns mit allem versöhnt. Wer also wollte nicht tauschen mit einem, der jedem in seiner Nähe den Kopf verdreht, das Herz. Was müsste ich als Schreiber aufführen, um Wildfremden so nahezukommen, dass sie innehalten und dableiben. Mitten im Großstadtlärm.
    Schräg gegenüber haben Adventisten einen Stand aufgebaut. Man will sie fast bemitleiden. Denn keiner streift sie mit einem Blick. Keiner will momentan wissen, dass die baldige »Wiederkunft Christi« bevorsteht. Denn alle Augen sind auf Santos (seinen Namen werde ich bald erfahren) gerichtet, alle Ohren, jede Faser Aufmerksamkeit. Auf jenen, der nichts verspricht, der nur linkisch dasteht und an sechs Saiten zupft. Wie beruhigend, dass das Weltliche, die Welt noch immer den Sieg davon trägt über die Reden vom Jenseits. Spürt doch jeder Anwesende, dass wir uns gerade im Paradies befinden. Nicht für immer, aber für eine kurze, flüchtige Zeit befindet sich der Himmel an der Ecke Bourke/Elisabeth Street.
    Als der Wunderknabe aufhört, gehe ich auf ihn zu. Wir reden. Santos lebt schon lange als Italiener in Melbourne, hat eine Band, tourt. Er liebt die Stadt, liebt den Kontakt zur Straße, er sagt, dass ihn kein anderes Ziel im Leben bewegt, »als schöne Dinge zu tun«. Um mich für das Schöne zu revanchieren, biete ich ihm ein Gedicht von Salvatore Quasimodo an, das mir vor Minuten wieder einfiel. Einfallen musste. In der Originalversion. Ich kann die Sprache nicht, aber die paar Zeilen, die weiß ich auswendig. Doch um ein Haar wäre ein Mord passiert, denn Santos hat noch nie von seinem Landsmann gehört, jenem italienischen Gott, der sich als Dichter verkleidete und 1968 als 67-Jähriger in Neapel starb. Ich lasse nur ab vom Meucheln, weil Santos verspricht, noch heute nach dem Gewinner des Literatur-Nobelpreises (1959) zu googeln, zudem spüre ich, dass ihm die Strophe nah geht. O.k., ich kann weder Musik noch Gedichte produzieren. Aber ich kann immerhin ein Wunder aufsagen und es herschenken:
    Ognuno sta solo sul cuor della terra
    trafitto da un raggio di sole:
    ed è subito sera
    Ein jeder steht allein im Herz der Erde
    getroffen von einem Sonnenstrahl:
    und gleich ist es Abend
    Mit einem Stoß Zeitungen gehe ich in ein Café, will die Nachfreude auskosten, das Vibrieren im Körper behalten. An der Kasse – Selbstbedienung ist eine barbarische Erfindung – wird plötzlich etwas klar, was mir bisher eher diffus bewusst war. Die Situation: Big Coffeeshop, Maschinen sausen, TV -Screens flirren, der Chef am Computer, Lichter blinken, zwei Angestellte mit dem Handy am Ohr, Hebel klicken, Mordsbetrieb – und niemand da. Außer einem Paar im Eck und ich an der Kasse. Der rasende Stillstand, dennoch soll ununterbrochen signalisiert werden: »We're busy«, sprich, wir sind wichtig, wir sind gefragt, bei uns ist die Hölle los. Kein australisches Phänomen, ein weltweites. Im selben Moment, ich stehe noch immer herum, drängt sich eine Erinnerung auf. Jener Nachmittag vor Monaten, als ich ein Café betrat, dessen Besitzer neben der Theke saß, geruhsam die Zeitung lesend. Irgendwo in Arabien. Und ich setzte mich und bestellte. Und er brachte das Gewünschte. Ohne einen einzigen Knopf zu drücken, ohne Gedöns, ohne Wichtigtuerei. Nichts klingelte, nichts brauste, erstaunlicherweise kamen keine halbe Minute später der Tee und ein Gebäck an den Tisch.
    Nicht so in modernen Zeiten. Ich warte, noch immer. Das Warten lassen gehört zur Politik solcher Einrichtungen, es soll die Wichtigkeit unterstreichen, ja im Kunden ein irritierendes Gefühl von Abhängigkeit wecken, von: »We don't need you, but you need us.« Dann kommt die Lady und ich versuche die vielen Male mitzuzählen, die sie auf die Tasten vor sich drückt. Beim 24. Mal komme ich ins Schleudern, verliere den Überblick. Klar, die Bestellung eines Glases Milch ist kompliziert, noch haariger die Lage, wenn zusätzlich ein Muffin geordert wird. Sicher gibt es fünfzig Milchsorten und 120 verschiedene Muffins. Irgendwann ist das Werk vollbracht, ich bekomme, nein, nicht die Ware, ich bekomme den Bon, den Zettel. Damit bin ich entlassen, ich setze mich und lauere sieben Minuten, bis auf einer Tafel meine Nummer erscheint und ein Beep

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