Im Land der Regenbogenschlange
Schlangen auszuweichen. Ich wandere auf einem schmalen Pfad über ein Land, das gestern ein Brandstifter angezündet haben muss. Allein auf der Welt fühlt man sich, Schweià strömt und nur das pochende Herz ist zu hören. Und die Lust auf Massenmord, die fühlt man auch. Australische Fliegen sind eine Spezies, die zum Tierhass verpflichtet.
Die Damen sind freundlich, ich bekomme eine Reihe von Telefonnummern, über die ich den Gesuchten ausfindig machen könne. »Maybe.« Inzwischen habe ich mir einen Sack Kleingeld besorgt, um die öffentlichen Telefonapparate damit zu füttern. Aber ich höre nur Anrufbeantworter. Ich gehe die drei Kilometer zurück, lege mich für eine Stunde an den Swimmingpool des Hotels, bereue nichts, vertraue, dass ein Mensch, der auf so geheimnisvolle Weise immun scheint gegen die Sirenen der Habgier, dass ein solcher Zeitgenosse jeden SchweiÃausbruch rechtfertigt.
Der Abend wird gut, nur Shane, der robuste Nordire, und ich teilen Nummer 31. Nachdem er versprochen hat, nicht zu schnarchen, gehen wir gemeinsam ins Gartenrestaurant, dinner time. Der Frührentner arbeitete als Seemann, lernte Elektriker, kam 1971 mit seiner Frau und seinem Beruf nach Sydney, hat einen kleinen Betrieb aufgebaut, hat gut verdient. Und zum richtigen Zeitpunkt den Laden verkauft. Mit ordentlichem Gewinn. Nach Australien wanderte er aus, weil Belfast »ihm stank«. Zu trostlos das Wetter, der Terror, die ewig gleichen Buddies mit den ewig gleichen Sprüchen. »Käme ich heute zurück, ich würde meine ehemaligen Freunde noch immer da treffen, wo ich sie stehen lieÃ, in den Pubs, den hässlichen StraÃen und Häusern.«
Shane, der Philosoph. Er meint, es gebe zwei Hauptgründe, warum die Mehrheit in Angst, Langeweile und Routine schmore. »Erstens, sie verschiebt das Leben und zweitens, sie kann nicht allein sein.« Deshalb die vielen katastrophalen Ehen und die rastlose Bereitschaft zu lausigen Kompromissen. Er lacht plötzlich schallend. »I thank my wife every day for leaving me.« Jetzt ist er allein, »a happy loner«, der mit seinem Geländewagen über den Kontinent zieht. Vor drei Jahren flog er mit einer Italienerin nach Perugia und kurvte mit ihr durch Umbrien. Und schwärmt noch immer von ihrem Esprit »and her body to dream of«. Unglaublich, wie Männer leuchten, wenn sie sich an einen schönen Frauenkörper erinnern. (Italien rühmt er auch, wobei er eine Spur weniger heftig leuchtet.) Er sagt: »There is no rehearsal in life«, es gibt keine Proben, kein Probeleben. Das sei sein Leitmotiv, er will immer jetzt sein, will keinem trauen, der ihm ein späteres Glück verspricht.
Ich mag Shane, den Elektriker, der von keiner Ewigkeit träumt und dem schon ein einziges Leben reicht, um sich zu verausgaben. Ich mag ihn weniger, als ich ihm von Jeffrey Lee erzähle und der Kluge übergangslos als Stammtischbruder auftritt. »Abos are crap«, die Aborigines sind ScheiÃe. Er könne sie nicht ausstehen, sie stänken vor Faulheit, sie seien hässlicher als die Hölle und ein weiÃes, weiÃrassiges Australien sei ihm am liebsten. Ich stutze für Momente â hatte ich doch mit einem weniger vulgären Kommentar gerechnet â und beschlieÃe, nicht darauf einzugehen, habe längst begriffen, dass derlei Diskussionen nur zu Mord und Totschlag führen. Bin nur wieder verwundert, wie viel an Hellsichtigkeit und Torheit in ein und demselben Kopf Platz findet.
Eine Frau kommt uns zu Hilfe, eine fröhliche. Nora jobbt hier als Bedienung, will wissen, ob noch etwas gewünscht wird. Und Shane, er hat durchaus Charme, erzählt, dass er die Französin schon in Darwin kennengelernt habe. Auch als Aushilfe in einem Restaurant. Kennengelernt mit ihrem Boyfriend Sam, der als Koch dort arbeitete. Erzählt, wie er sie in einem unbeobacheten Moment fragte, wie sie mit einem Schotten ausgehen könne, der so »murky« aussehe, so finster und unansehnlich. Das ist ein spaÃiger Augenblick, denn ich nehme die Frage auf, ebenfalls erstaunt, denn Nora ist nicht hübsch, sondern verdammt hübsch. Und die 22-Jährige spielt mit, sucht nicht nach Ausreden und erklärt uns das Leben einer Fremden in einem fremden Land: Sam war eben zur rechten Zeit am rechten Ort. Und da sie sich einsam fühlte, war der Finstere der Mann der Stunde. So einfach kann die Wirklichkeit
Weitere Kostenlose Bücher