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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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gefasst. Und sofort schwer bewacht, da die Einwohner Rache forderten, der Ruf nach Lynchjustiz laut wurde. Nach dem (kurzen) Prozess wurde eigens von malayischen Hilfsarbeitern ein Galgen gezimmert. Diese Hinrichtung, die letzte überhaupt, fand am 7. Oktober des gleichen Jahres statt. Ach ja, das Motiv der Untat: Jerzy und Jonus waren Musiker und unglücklich. Weil sie »hier nicht Musik spielen konnten«, tschechische Musik, keiner wollte sie hören und dafür bezahlen. Deshalb die Sehnsucht zurück nach Europa.
    Für Augenblicke stehe ich wie gebannt vor dem Galgen, bin einmal Verurteilter, der jetzt sterben muss, einmal Henker, der dafür sorgt, dass ein anderer sich das Genick bricht. Beide Rollen sind schwer zu ertragen, nein, beide sind unfassbar.
    Zurück in die Stadt, ich komme an einer Polizeistation vorbei, wo Schwarze sich für den Posten eines Aboriginal Community Police Officer bewerben können, »good character« wird gefordert. Ich finde ein Restaurant mit einer Terrasse, ich esse, lese, spüre wieder das Glück, nicht zu Hause, sondern unendlich fern von den »Bildern« sein zu dürfen, die man schon kennt, die schon ermüden, schon lange. Das sind die Sternstunden des Reisens. Fremder sein dürfen, kein Alltag, jeder Tag ein anderer Tag. Und jeden Abend ein paar Millimeter weniger dumm und ein paar Millimeter reicher, im Kopf, im Bauch. Zudem auf beschwingte Weise den Gedanken aushalten, dass man so vieles noch immer nicht begriffen hat. Oft bedrückt diese Gewissheit (des Nichtwissens), oft treibt sie an. Weil sie die Garantie dafür ist, dass einem die Lebensfreude nicht ausgeht, dass sie einen begleiten wird, solange man scharf auf die Welt ist.
    Zudem bekomme ich wieder einen Satz geschenkt, der wie Opium ins Blut zieht. Er stammt von dem amerikanischen Schriftsteller Kurt Vonnegut, dessen Nachruf in der Zeitung steht (in australischen Zeitungen erscheinen Nekrologe oft Monate nach dem Tod des Betreffenden): »Ein Buch ist eine Anordnung von dreißig phonetischen Symbolen, zehn Zahlen und einem Dutzend Interpunktionszeichen. Und die Menschen können sie betrachten und dabei den Ausbruch des Vesuvs oder die Schlacht bei Waterloo halluzinieren.«
    Später lässt das Glück nach. Zweimal landet eine Küchenschabe auf meinem Nacken, und dreimal kommen Aborigines vorbei und betteln. Der Kontext ist deprimierend, aber genau so ist es geschehen. Sie sehen verwahrlost aus, sie riechen, sie wollen Geld für Bier. Ich versuche, den Mann oder die Frau in ein Gespräch zu verwickeln, aber es findet nicht statt. Sie reagieren einsilbig, voller Misstrauen. Dass sie trotzdem auf die Dollars des Weißen Mannes angewiesen sind, macht die Beziehung zwischen uns nicht leichter. Zum Misstrauen kommt die Wut. Über mich, über sich selbst. Wieder fallen mir Szenen aus meiner Kindheit ein. Immer wenn ich an einem armen Teufel vorbeiging, dachte ich, dass ich ihn mit nach Hause nehmen sollte. Und in die Badewanne setzen, ihn waschen, einkleiden, ihm ein paar Tage ein sauberes Bett anbieten. Und ihm tagsüber zureden, ihn anspornen. Damit er aufhört, bewusstlos zu sein und was anstellt mit seinem Leben. Und nach einer Woche würde ich ihn entlassen, ihm nachwinken, ihm nochmals »Courage« zurufen.
    Ich war vollkommen überzeugt, dass jeder von mir Gerettete in eine strahlende Zukunft treten würde. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass ein Mensch mit so vielen Niederlagen auf seinem Konto so schnell nicht wieder abhebt. Dass seine Last, all die kassierten Demütigungen, ihn knebeln, ihn mundtot machten, und dass es wohl anderer Anstrengungen bedarf, um ihm Mut und Willen auf ein anderes Leben einzuimpfen.
    Mit einer schrecklichen und einer hinreißenden Nachricht im Kopf wandere ich zurück zu meinem Two-Star-Hotel mit den Five-Star-Preisen. Nicht weit vom weisen Vonnegut stand ein Bericht über Lady Di. Nun, die Hoffnung, dass wir sie mit ihrem Tod endgültig überstanden haben, erweist sich als trügerisch. Überstanden ihre himmelblöden Phrasen, ihre Zitate aus den Werken ihrer Lieblingsautorinnen Barbara Cartland (!) und Danielle Steel (!), ihre Frivolität, mit der sie anderer Leute Geld verschleuderte, ihre Shoppingeskapaden in steter Begleitung zweier Friseurinnen zur Aufrechterhaltung der Dauerwelle (die mich immer an die Haartracht einer Bahnhofskellnerin in Wladiwostock erinnerte), ihre

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